Jerry Cotton - 0594 - Die Herrin der Schreckenskammer
der ich vorwärts stolperte. Ich stieß gegen einen Baumstamm und blieb stehen, um dahinter Deckung zu suchen.
Stille. Milton schien begriffen zu haben, daß es sinnlos war, einfach in die Gegend zu ballern.
Ich hatte die Schüsse mitgezählt und wußte, daß Milton ein Magazin leergefeuert hatte. Mir war klar, daß er mit den Patronen, die sich in dem Smith and Wesson befanden, rationeller umgehen würde.
Milton hatte keine Taschenlampe bei sich, aber es war zu befürchten, daß eine im Wagen lag. Außerdem konnte der Blonde schon in wenigen Sekunden seine Betäubung überwunden haben. Ich war noch nicht aus dem Schneider.
Ich hatte mich von dem Wagen entfernt. Milton und der Blonde mußten zwangsläufig annehmen, daß ich meine Flucht in dieser Weise fortsetzen würde. Jeder, der sich in Gefahr befand, mußte darauf bedacht sein, sich schnellstens von ihr zu entfernen.
Das brachte mich auf die Idee, meine Gegner so zu bluffen, daß ich diese Wahrscheinlichkeitsrechnung auf den Kopf stellte. Meine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Es war ausgeschlossen, Einzelheiten zu erkennen, aber vor dem dunklen Nachthimmel hoben sich die Konturen einzelner Baumkronen ab. Ich trat hinter dem Baumstamm hervor und bewegte mich auf den Wagen zu.
Mir war klar, daß mich schon das Knacken eines Zweiges verraten konnte. Ich setzte deshalb mit äußerster Vorsicht einen Fuß vor den anderen. Ich bewegte mich nur gebückt vorwärts, um mit der Dunkelheit eins zu werden.
Ich hörte plötzlich Miltons erregtes Atmen. Ein sich öffnender Wagenschlag quietschte leise.
»Mike!« keuchte Milton. »Mike!«
Er schien seinen Komplicen zu schütteln. Die Wagenfedern quietschten rhythmisch.
Offenbar hatte der Aufprall die elektrische Anlage des Wagens gestört. Jedenfalls blieb die Innenbeleuchtung des Fahrzeuges ausgeschaltet.
Ich richtete mich auf. Mit wenigen Schritten war ich am Wagen. Mil ton war noch immer damit beschäftigt, den bewußtlosen Gangster zu schütteln.
Ich trat hinter Milton. Unter meinem linken Fuß raschelte ein vertrocknetes Blatt. Milton achtete nicht darauf. Von ihm war mehr zu hören, als zu sehen.
Er hatte mich töten wollen und war im Besitz einer Waffe. Ich sah mich gezwungen, rasch und möglichst risikofrei zu handeln.
Ich feuerte den Handkantenschlag ohne Vorwarnung ab. Mein Instinkt leitete mich dabei treffsicher. Ich erwischte Milton. Der Gangster stieß einen kurzen grotesken Laut aus und rutschte an der Karosserie entlang zu Boden.
Ich nahm ihm den Revolver ab und überzeugte mich davon, daß er außer der leergeschossenen Waffe nichts bei sich hatte, was mir gefährlich werden konnte. Dann klopfte ich den Blonden ab. Er stöhnte leise. In spätestens einer halben Minute würde er klar genug sein, um zu erkennen, in welcher Situation er sich befand und was ihn erwartete.
Der Blonde hatte keine Waffe bei sich. Ich drückte auf den Scheinwerferknopf. Das Licht flammte auf. Offenbar war die Anlage nicht ganz gestört.
Ich ging um den Wagen herum und sah, daß der Grill und die Stoßstange eingedrückt worden waren. Das linke Scheinwerferglas war zersplittert. Dort, wo der Blonde mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geprallt war, waren ein paar Sprünge zu sehen.
Milton wälzte sich stöhnend auf den Rücken. Ich ging zur anderen Wagenseite und öffnete den Schlag. Im Handschuhkasten entdeckte ich eine Taschenlampe. Der Blonde stemmte den Oberkörper hoch und schaute mich blinzelnd an. Es dauerte einige Sekunden, ehe sich in seinen Augen Angst zeigte. Er hatte plötzlich die Situation begriffen.
»Es wird am besten sein, wir wechseln die Plätze«, sagte ich mit unterkühlter Höflichkeit und gewährte ihm einen Blick auf meinen handfesten Smith and Wesson Revolver. »Milton fährt, und Sie machen es sich neben ihm gemütlich. Ich selbst nehme im Fond Platz. Ich bin sicher, daß Sie nichts dagegen einzuwenden haben.«
***
Lorraine Spotter zuckte zusammen, als sie hörte, wie die Wagenräder über den Kies rollten. Sie knipste das Licht aus, eilte an das Fenster und zog die Übergardine zur Seite. Erleichtert stellte sie fest, daß vor dem Haus der tintenblaue Lancia ihres Mannes stoppte.
Lorraine ließ die Gardine fallen, machte das Licht wieder an und trat an die Hausbar. Sie griff nach dem Whiskyglas und hielt es gegen die Lampe. Sie spürte, daß sie zuviel getrunken hatte. Wenn Irvin es merkte, würde er sicherlich wütend werden. Er hielt nichts vom Trinken, weil
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