Jerry Cotton - 0594 - Die Herrin der Schreckenskammer
es die Reaktionsfähigkeit vermindert.
Andererseits hatte sie einfach etwas gegen die Angst und die Nachwirkung der Erlebnisse der letzten Stunden tun müssen. Irvin hatte gewiß recht, wenn er meinte, daß das Ziel jede Mühe lohnte. Aber es war nun einmal eine andere Frage, wie die Nerven darüber dachten.
Es klingelte. Lorraine stellte das Glas hart auf den Tresen zurück. Hatte Irvin den Schlüssel vergessen? Er vergaß doch sonst nichts!
Lorraine verließ das Zimmer und eilte nach unten in die Halle. Sie klinkte die Kette aus und öffnete die Tür. Im nächsten Moment prallte sie zurück.
Draußen stand Tony Briggs.
Tony war ein Mann, der gern lachte und immer zu irgendwelchem Blödsinn aufgelegt war. Eigentlich hatte sie ihn noch niemals wirklich ernst gesehen. Aber jetzt sah er aus, als hätte er statt des Abendessens zwei Liter Essig zu sich genommen.
Lorraine blickte über Briggs Schulter. »Wo ist Irvin?« fragte sie ungeduldig.
Tony trat über die Schwelle. Lorraine wich zur Seite. Sie wurde plötzlich von einem unbestimmten Angstgefühl erfaßt.
»Wo ist Irvin?« wiederholte sie.
Tony Briggs durchquerte die Halle. Er hatte die Hände in die Hosentaschen geschoben und bewegte sich nicht sonderlich schnell.
»Er ist mit einem alten Freund zusammen«, sagte er. »Mit einem guten alten Freund.«
Lorraine schloß die Tür. Sie folgte Briggs die Treppe zum Wohnzimmer hinauf. »Irgend etwas ist doch geschehen«, stieß sie erregt hervor. »Ich möchte wissen, was es ist.«
»Du wirst es gleich erfahren«, meinte Briggs, der zielbewußt auf die Hausbar zusteuerte.
Lorraine dachte an O. M. Tony Briggs war sein bester Freund gewesen. Natürlich, das war die Erklärung für Briggs seltsames Benehmqn. Der Tod seines Freundes war ihm unter die Haut gegangen. Er brauchte Zeit, um mit dem Schock fertig zu werden.
»Bourbon, wie üblich?« fragte Lorraine den Besucher, der sich auf einen Barhocker setzte.
»Geht in Ordnung«, nickte Briggs und starrte der Frau in die dunkelgrünen Augen.
Lorraine Spotter füllte ein Glas mit Eis und Whisky. Dabei fiel ihr ein, daß Briggs mit dem Wagen ihres Mannes gekommen war. Sie hatte keine Erklärung dafür.
»Warum benutzt du Irvins Wagen?« fragte sie ihn.
»Er braucht ihn nicht mehr«, meinte Briggs.
Lorraine hatte das Gefühl, als lege sich ein eiskalter Stahlring um ihr Herz.
»Wie meinst du das, Tony?«
»Denk doch mal nach«, sagte Briggs. Seine Stimme klang leise und irgendwie zynisch. So hatte Lorraine ihn noch nie erlebt.
»Du hast gesagt, er sei mit einem alten Freund zusammen«, sagte sie.
Briggs nickte. »Ja, das stimmt. Ich meine O. M. Die beiden befinden sich jetzt im Jenseits.«
Lorraine begann zu zittern. Sie wehrte sich dagegen, aber sie war dem Schwächegefühl hilflos ausgeliefert. Briggs starrte sie an, hart und höhnisch. Er genoß es, sie blaß und schwach zu sehen.
»Du lügst. Warum willst du mir Angst machen?«
»Ich weiß nicht, warum du so ein Theater machst«, spottete Briggs. »Ich dachte immer, O. M. sei dein Freund. Hast du ihm nicht oft genug versichert, daß er der einzige Mann auf der Welt sei, der dir etwas bedeutet?«
Lorraine wurde plötzlich ganz ruhig. Sie griff nach dem Glas und nippte daran. Über den Rand hinweg schaute sie in Briggs Augen. Ihr war klar, daß ihr Leben jetzt in seinen Händen lag. Sie wußte, daß sie eine Strategie entwickeln mußte, um Briggs für sich zu gewinnen. Alles andere war nebensächlich. Selbst das Entsetzen über Irvins Tod hatte daneben keine Bedeutung.
»Ich sagte die Wahrheit«, log Lorraine.
»Er war dir nur Mittel zum Zweck«, sagte Briggs mit harter, anklagender Stimme. »Du hast ihn systematisch becirct, um sein Vertrauen zu gewinnen. Als du alles über ihn und die Organisation in Erfahrung gebracht hattest, kam dir und deinem Mann der Einfall, O. M. zu töten und sein Erbe anzutreten. Aber ihr habt die Rechnung ohne den Wirt gemacht. O. M. war mein Freund, der einzige, den ich jemals hatte. Ich werde seinen Tod rächen. Dein sauberer Mann mußte bereits ins Gras beißen. Jetzt kommst du dran.« Lorraines Mund wurde trocken. »Du hast den Verstand verloren, Tony. Du siehst alles ganz falsch! Wir haben O. M. nicht getötet. Ich hätte mich niemals dazu hergegeben. Ich liebte ihn doch.«
»Du liebtest nicht ihn, sondern sein Geld und seine brillanten Ideen«, sagte Briggs. »Du hast seine Arbeitsweise genau studiert. Du hast getan, was dein Mann von dir verlangte. Als ihr
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