Jerry Cotton - 2905 - Ein Steckbrief fur den Tod
Freundin Isabel Ortega. Die junge Frau hatte ihre Verhaftung unverletzt überstanden. June Clark und Blair Duvall waren mit ihr bereits zur Federal Plaza gefahren, wo wir unsere Kollegen später wiedertrafen.
»Ich habe bei Isabel Ortega bereits eine Leibesvisitation vorgenommen«, berichtete unsere blonde Kollegin. »Verdächtige Gegenstände konnte ich nicht finden. Und in ihrer Handtasche war nur der übliche Krimskrams. Wenn ihr mich fragt, dann war ihre versuchte Geiselnahme eine Kurzschlussreaktion. Isabel hat es sich zu einfach vorgestellt, mit ihrem Freund türmen zu können. Als sie plötzlich mit der rauen Wirklichkeit konfrontiert wurde, hat sie die Nerven verloren.«
Das war auch meine Einschätzung. Wir bedankten uns bei June und Blair für die gute Arbeit. Isabel Ortega hockte in einem Verhörraum und starrte stumpfsinnig gegen die Wand. Ihre Augen waren verweint. Aber als Phil und ich hereinkamen, flossen bei ihr keine Tränen mehr.
»Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass wir Sie der Beihilfe zum Mord anklagen werden«, sagte ich. »Möchten Sie einen Rechtsanwalt hinzuziehen?«
Die junge Frau hob die Schultern.
»Was soll das bringen? Ich bin unschuldig, verflucht noch mal.«
»Unschuldig?«, hakte Phil nach. »Dann hat wohl Ihr Freund auch nicht den Kautionsjäger erschossen?«
»Nein, das hat er nicht getan. Natürlich haben wir die Schüsse im Treppenhaus gehört, wir sind ja nicht taub. Roy ist nachsehen gegangen. Dann sagte er zu mir: ›Da wurde einer niedergeknallt, die Bullen werden gleich kommen‹. Roy haute sofort ab, schließlich wurde er ja gesucht. Er ist dann untergetaucht.«
»Aber irgendwann hat er es vor Sehnsucht nicht mehr ausgehalten, oder?«
Isabel Ortega grinste stolz.
»Genau, Agent Cotton. Ray rief mich an. Er sagte, er könne ohne mich nicht leben. Er hätte ein paar Dollar zusammengekratzt und wollte mit mir weit wegfahren, nach Texas. Dort kennt er wohl einen Typen, der in einem abgelegenen Kaff haust. Ich sollte zum Port Authority Bus Terminal kommen und aufpassen, dass mir keine Bullen folgen.«
Isabel Ortega hatte offenbar nicht bemerkt, dass June und Blair ihr auf den Fersen gewesen waren. Das wunderte mich nicht, denn unsere Kollegen sind Profis. Sie hatten sich natürlich nicht von einer naiven jungen Frau wie Isabel Ortega abhängen lassen.
»Sie wollten also gemeinsam mit Roy Jordan nach Texas fahren?«
»Genau, Agent Cotton. Wir brauchten nur noch die Tickets, aber dann haben Sie uns ja gekrallt. – Roy hat diesen Typen jedenfalls nicht erschossen, das kann ich beschwören.«
***
»Der Schwur einer Frau wie Isabel Ortega wird die Jury nur mäßig beeindrucken«, meinte Phil trocken, während wir wenig später Richtung Rikers fuhren. Ich hatte einen Anruf von der Gefängnisinsel erhalten. Roy Jordan war als vernehmungsfähig eingestuft worden.
»Ich bin gespannt, ob uns Jordan auch solche Märchen auftischt, wie seine Freundin es getan hat«, meinte Phil. »Ein besonders ausgekochter Verbrecher kann er jedenfalls nicht sein. Sonst wäre er wohl kaum in New York City geblieben, obwohl mit Hochdruck nach ihm gefahndet wurde.«
»Jordan wollte offenbar nicht auf seine Isabel verzichten. Vielleicht hat die Liebe ihn blind gemacht.«
»Wenn das so wäre, dann hätte ich nichts dagegen. So konnten wir den Mörder jedenfalls hinter Schloss und Riegel bringen.«
Auf dem Weg vom Besucherparkplatz der riesigen Strafanstalt bis zum Krankentrakt mussten wir diverse Sicherheitsschleusen passieren. Die Stimmen der Gefangenen, an deren Zellen wir vorbeigingen, kamen mir wie ein Chor des Hasses vor. Die FBI-Marken an unseren Jacketts waren für die Kerle nicht zu übersehen.
Der altgediente kahlköpfige Gefängnisarzt Doc Warren erwartete uns bereits.
»Das Drogenscreening bei dem Patienten war negativ, Agents. Körperlich fehlt ihm nichts, wenn man von der Schusswunde absieht. Ihr habt ihm einen glatten Durchschuss verpasst, der gut heilen wird. Ich habe die Wunde versorgt, gegen einen kurzen Besuch ist nichts einzuwenden.«
Ein Wärter führte uns zu dem Krankenzimmer, in dem Jordan lag. Auf den ersten Blick unterschied es sich nicht von einem entsprechenden Raum in einem normalen Hospital. Allerdings war das Fenster vergittert, und die Tür hatte innen keine Klinke. Der Mordverdächtige warf uns einen zornigen Blick zu.
»So ein Kerl wie ich wird vom Leben immer mit Füßen getreten.«
»Ihr Selbstmitleid können Sie sich sparen, Jordan«, entgegnete
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