Jerry Cotton - 2909 - Rache ist ein einsames Geschaeft
lassen?«
»Mehr, als Sie sich vermutlich vorstellen können, Agent Cotton. Wenn Sie wüssten, wie viele Frauen und Kinder sich auf diese Weise von ihren brutalen oder sogar straffällig gewordenen Ehepartnern lossagen. Oder sich vor ihnen in Sicherheit bringen.« Ihre Augen sahen mich bei diesen Worten starr an und ich fragte mich, ob es ein Zufall war, dass sie sich offenbar genau diese Fälle aussuchte.
»Wie geht es ihr jetzt?« Meine Frage war ein Überrumpelungsversuch.
Die Anwältin lächelte leicht und beugte sich zu mir herüber. »Es gibt momentan nichts, wobei sie anwaltlichen Beistand bräuchte. Aber wenn es so wäre, bin ich sicher, sie würde sich wieder bei mir melden. In diesem Sinne kann ich Ihre Frage, ob ich mich noch als die Anwältin der ehemaligen Mrs Frank Hines betrachte, mit einem Ja beantworten.«
Natürlich wusste sie, dass ich mir die Angaben zu Maggie Hines’ neuem Namen beschaffen konnte. Und ganz offensichtlich wollte sie es mir dabei nicht leichter machen. Verständlich, aber ärgerlich für mich.
Ich schob ihr meine Karte zu. »Rufen Sie mich an, wenn Sie von Ihrer Klientin hören. Jederzeit. Es ist wichtig.«
Dann stand ich auf und verabschiedete mich. Deborah Ann Walker begleitete mich nicht hinaus. Lediglich ihr Blick folgte mir, bis ich durch die Tür war.
***
Der Mann, der auf dem Gang vor den Gefängniszellen mit einem feuchten Tuch und einem Schrubber hantierte, hatte die Statur eines Boxers: klein und kompakt. Die Muskelberge, die, von zahllosen Tattoos bedeckt, seine Oberarme zierten, schienen direkt aus seinem Hals zu wachsen.
»Hey, Fernandez!«
Der Angesprochene sah von seinem Eimer und den Schlieren, die er mit dem Putzgerät zog, auf. Spätestens beim Blick in seine Augen war jedem klar, dass der Mann bei der Verteilung der geistigen Gaben nicht so reich gesegnet worden war.
»Was geht ab, Hines?« Fernandez sprach langsam, mit einer für seine Statur viel zu hohen Stimme.
»Du musst mir einen Gefallen tun. Jemand hat mir Post geschickt. Ich würde gerne antworten, aber es steht kein Absender drauf.«
Der Mexikaner zwinkerte unsicher. »Post?«
Hines nickte, langsam, als kommuniziere er mit einem Kind. »Große Post. Wichtige Post. Post, die beantwortet werden muss.« Bei diesen Worten hob er kurz den Ärmel seiner Gefängnisjacke. Die Augen seines Mithäftlings weiteten sich kurz, als er das kurze, gefährlich blinkende Messer sah. Hines’ Augen zogen sich zusammen, jetzt war sein Blick eiskalt. »Hast du mir etwas in meine Zelle gelegt?«
»No. No!« Fernandez fuchtelte mit der Hand herum, dabei fiel sein Schrubber um und landete mit einem lauten Knall auf dem Boden. Der wachhabende Beamte blickte aus seiner Kabine zu den beiden Männern hinüber. Außer Hines und Fernandez war niemand auf dem Gang vor den Zellen zu sehen, obwohl drei der Türen offen standen.
»Einschluss in fünf Minuten!«, brüllte der Beamte, der seinerseits auf seine Ablösung wartete. Hines bewegte sich so, dass er seinem Bewacher den Rücken zudrehte.
»Wer war es, Fernandez? Du hast jemanden gesehen, der in meine Zelle ging. Es kann nur passiert sein, während du geputzt hast und die Zellen offen waren. Also, raus mit der Sprache, sonst wirst du es bereuen.«
Dass Hines dem jüngeren und ihm zudem körperlich weit überlegenen Mithäftling drohte, war seiner Verzweiflung zuzuschreiben. Er musste herausfinden, wer die Botschaften überbracht und in seine Zelle geschmuggelt hatte. Wenn es Fernandez selbst gewesen war, würde er ihm so lange zusetzen, bis er seinen Auftraggeber verriet. War er es nicht, musste er zumindest den Boten gesehen haben.
Doch der Mexikaner schien nicht gewillt, Hines zu antworten. Er griff nach seinem am Boden liegenden Schrubber und wandte dem Älteren dabei den Rücken zu. Ein großer Fehler, denn Hines hatte für seine Begriffe nichts mehr zu verlieren. Wie ein wild gewordener Pitbull stürzte er auf den vor ihm halb gebückt stehenden Mann zu und warf ihn um.
Fernandez riss, in einer fuchtelnden Armbewegung, dabei den Eimer gleich mit um. Ein Schwall Schmutzwasser ergoss sich über den Boden und die Hosenbeine der beiden Häftlinge. Fernandez, immer noch bemüht, die gemeine Attacke abzuwehren, rutschte mit einem Bein auf dem nassen Boden aus und schlug der Länge nach hin. Hines war über ihm, bevor der überrumpelte Mexikaner auch nur einen Laut von sich geben konnte.
»Sag mir den Namen«, flüsterte Hines dem unter ihm Liegenden ins Ohr
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