Jerry Cotton - 2915 - Wer tot ist kann nicht sterben
Sofort war Ruhe. Die beiden jungen Männer gingen mit ihren Gewehren ins Haus und kehrten kurz darauf ohne wieder.
Der Mann, der mit ihnen gesprochen hatte, strahlte eine dominante Präsenz aus. Offenbar hatte er hier die Führungsposition inne.
Er fing an zu lächeln und kam auf uns zu. »Entschuldigen Sie, aber die Leute hier sind wegen des Todes von Roter Panther und Schneller Bär aufgebracht und beunruhigt. Und was Fremde angeht, entsprechend vorsichtig.«
»Das ist verständlich«, sagte ich.
Alte Rinde stellte uns vor. Der Mann hieß Fliegende Falkenschwinge und war vom Stamm der Hidatsa. Er war ebenfalls Mitglied von AIM.
Anders als viele andere Indianer, die wir gesehen hatten, trug er weder Jeans noch Pullover, sondern klassische indianische Kleidung. Und neben einem Messer hatte er auch einen Tomahawk in seinem Gürtel stecken. Seine Haut war ungewöhnlich blass, wahrscheinlich war er kein reinrassiger Indianer.
»Was ist der Grund Ihres Besuchs?«, fragte er nach der Begrüßung und übersprang weitere gesellschaftliche Floskeln.
»Wie Sie vielleicht wissen, ermitteln wir im Fall der Morde an Roter Panther und Schneller Bär«, antwortete ich. »Dabei haben wir erfahren, dass Roter Panther Mitglied bei AIM war. Wir dachten uns, sein Besuch in New York könnte vielleicht damit zu tun haben.«
»So, dachten Sie?«, erwiderte er und deutete in Richtung einer weiten Wiese. »Lassen Sie uns doch ein Stück gehen.«
Wir kamen seiner Aufforderung nach.
Er atmete tief ein und wieder aus. »Dieses Stück Natur, dieses Reservat, ist alles, was uns Indianern von all dem Land, das wir hatten, geblieben ist. Über viele Jahrhunderte hat uns der Weiße Mann mehr und mehr von dem, was wir hatten, weggenommen. Wir vom American Indian Movement treten für mehr Gerechtigkeit ein. Wir wollen, dass die Indianer das bekommen, was ihnen zusteht, was ihr ursprünglicher Besitz war. Wir haben eine Vision. Und Roter Panther hat diese Vision geteilt. Auch er wollte mithelfen, unser Volk aufzubauen und alte Werte wieder herstellen. Deshalb hat er sich uns angeschlossen.«
»War er deshalb in New York? Wollte er dort eine AIM-Zweigstelle aufbauen oder etwas in der Art?«, fragte ich.
Fliegende Falkenschwinge schaute mich mit durchdringendem Blick an. »Nein, darum ging es wohl nicht, denn sonst hätte er uns das bestimmt gesagt. Er wollte hier etwas tun, in seiner Heimat, in Fort Berthold. Seine Reise nach New York kam auch für uns überraschend und war ein Rätsel. Er hat nicht gesagt, warum er in die große Stadt wollte. Er meinte nur, dass er einer großen Sache auf der Spur sei. Aber Details hat er keine preisgegeben. So war er eben.«
»Ja, das haben wir auch schon vom Ältestenrat gehört«, sagte ich. »Hatten Sie denn eine Idee, worum es ging und was er in New York wollte?«
»Es war wahrscheinlich etwas, das er im Interesse der Indianer hier im Reservat unternommen hat – zumindest ist das meine Idee«, antwortete er. »Aber um was es sich dabei genau handelt, das weiß ich nicht, und diesbezüglich habe ich auch keine Idee. Hatte er denn nicht irgendetwas bei sich? Irgendwelche Unterlagen?«
»Falls ja, dann sind sie ihm entwendet worden«, sagte ich. »Das ist auch der Grund, warum wir in das Reservat gekommen sind, weil alles darauf hindeutete, dass wir die Antwort hier finden könnten. Bisher sieht es aber nicht wirklich so aus.«
»Haben Sie noch keine Spuren? Keine Hinweise?«, fragte Fliegende Falkenschwinge.
»Darüber können wir beim aktuellen Stand der Ermittlungen noch nichts sagen«, antwortete ich. »Was wir aber noch nicht wissen, ist der Grund, aus dem Roter Panther in New York war. Können wir die anderen AIM-Mitglieder hier befragen? Oder haben Sie etwas dagegen einzuwenden?«
»Fragen Sie, wen und was Sie wollen«, antwortete er. »Auch ich bin daran interessiert, den Mörder von Roter Panther zu finden. Er war ein guter Mann, tapfer und zielbewusst. Sein Tod ist ein großer Verlust für uns, als Volk und auch als Bewegung. Wir haben uns zwar noch nicht lange gekannt, aber er war ein Mann mit Prinzipien, der bestimmt viel für unser Volk hätte tun können, wenn er nicht auf so niederträchtige Weise aus dem Leben gerissen worden wäre.«
Seine Worte hörten sich ehrlich an. Und sein Gesichtsausdruck zeigte mir, dass ihn der Tod des jungen Mannes tief getroffen hatte.
Wir befragten die anderen Mitglieder von AIM, die teilweise weniger kooperativ waren und auch ausfällig wurden. Aber
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