Jerry Cotton - 2916 - Das Marlin-Projekt
dann um mehr gehen muss als um eine Gespenstergeschichte.«
»Sie haben mich gefragt, ich habe Ihnen geantwortet«, konterte White.
»Kürzen wir die ganze Sache hier mal ab«, sagte ich, »erzählen Sie uns doch einfach, was wir wissen dürfen.«
White erhob sich, ging ein paar Schritte auf die Fensterfront zu und blickte hinunter auf Manhattan. Er hatte beide Hände tief in den Hosentaschen vergraben und machte auf mich keinen besonders souveränen Eindruck. Aber vielleicht war das auch nur Fassade.
»Doctor Haigh ist natürlich eine Schlüsselfigur in diesem Fall. Das wissen Sie selbst so gut wie ich. Was Sie vom FBI und wir vom ONI alle nicht wissen, ist: Wie weit war das Institut mit seinen Forschungen wirklich?«
»Ziel war jedenfalls die Entwicklung eines superkavitierenden Unterwasserlaufkörpers«, schob ich ein, um klarzumachen, dass wir auch ein bisschen wussten, worum es geht. White schürzte die Lippen und nickte.
»Unterwasserraketen. Maritime Kriegsführung der Zukunft, wenn Sie so wollen«, sagte White, kam zum Tisch zurück und setzte sich wieder. »Dreh- und Angelpunkt der Lage ist: Hatte das Institut einen solchen Torpedo fertig? War er einsatzbereit? Und ist er gezielt gestohlen worden? Wenn ja, von wem?«
»Nun ja, vielleicht sprechen Sie mal mit Doctor Lewis vom Office of Naval Research«, warf ich wie nebensächlich ein, »der weiß da genau Bescheid.«
White drehte sich jetzt zu mir um und hob erstaunt eine Augenbraue. »Haben Sie mit Lewis gesprochen?«
Ich nickte. »Klar haben wir. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.«
White trommelte mit den Fingern nervös auf der Tischplatte herum.
»Das Problem ist, dass Lewis vielleicht nicht in alles eingeweiht war, was sich am Institut abgespielt hat. Ich weiß, was Lewis’ Kenntnisstand ist. Und wir glauben, dass er nicht alles wusste.«
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Phil.
»Soll bedeuten, dass es durchaus denkbar ist, dass der komplette Torpedo längst fertig entwickelt und sogar schon montiert war – quasi einsatzbereit, als er gestohlen wurde.« White sah mit großen Augen von einem zum anderen, setzte an, etwas zu sagen, ließ es dann aber.
»Wie kann es denn sein«, meldete sich Assistant Director High, »dass eine solch sensible Erfindung nicht besser geschützt wird?«
»Tja, das ist eben unsere Gesetzeslage«, sagte White. »Unsere Freiheit der Forschung geht ganz schön weit. Wir dürfen dabei aber auch nicht vergessen, dass Shaw und seine Kolleginnen nicht direkt an militärischem Gerät geforscht haben. Superkavitation ist ein physikalisches Phänomen, das bei weitem nicht nur militärisch interessant ist. Das war jedenfalls die offizielle Version. Und wenn Sie dann noch überlegen, dass es wissenschaftliche Neugierde gibt, die blind macht für Gefahren, dann kommen Sie der möglichen Gefahr schon sehr nahe und alles fügt sich zu einem stimmigen Gesamtbild.«
»Aber ein fertiger Torpedo muss auch über Sprengstoff verfügen«, warf Phil ein. Doch White verzog sein Gesicht nur zu einem gequälten Lächeln.
»Was meinen Sie: Wenn es bei der Wissenschaft in den Fingern kribbelt und man will endlich, endlich ein Baby fertig sehen, an dem man mehrere Jahre lang geforscht und gebastelt hat, für das man sich Nächte um die Ohren geschlagen hat – meinen Sie, dann lässt man sich so einen Triumph nehmen, weil man sich die Aushändigung eines Sprengsatzes erst genehmigen lassen muss? Und das auch noch, wenn man so gut vernetzt ist, dass man auch ohne Genehmigung innerhalb von ein paar Stunden an den nötigen Sprengstoff kommen kann?«
»Können Sie uns ein bisschen was zu dem Thema erzählen?«, bat ich den ONI-Mann, »damit wir die Tragweite besser einschätzen können? So ganz generell meine ich. Denn superkavitierende Torpedos gab es doch schon, bevor Leute wie Lewis und Everett Shaw daran geforscht haben, oder?«
White stand wieder auf, zupfte sein schwarzes Jackett zurecht. »Sie hätten also gerne eine kleine Einführung in die seltsame Welt des Unterwasserkrieges?«, fragte er und griff sich seine Tasse Kaffee.
»Okay. Ich versuche es kurz zu machen. Superkavitations-Torpedos sind schon lange ein Thema. Im Zweiten Weltkrieg sollen schon die Deutschen daran geforscht haben. Erfolg hatten aber erst die Sowjets. Mitten im Kalten Krieg, 1977, bauten die ihren ersten Raketentorpedo, Schkwal genannt. Das ist russisch für ›Sturmböe‹. Damals zwar noch nicht lenkbar, aber 350 Sachen schnell – unter
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