Jerry Cotton - 2916 - Das Marlin-Projekt
überzeugen, dass sie vorerst untertauchen musste. Und zwar nicht bei ihrer Mutter oder bei ihrer besten Freundin, sondern untertauchen unter die Fittiche des FBI. Und das hieß: Umzug in ein sicheres Haus, Personenschutz immer in der Nähe, ohne Kontakt zur Außenwelt.
Dr. Haigh ahnte schon, was als Nächstes kam, und sie presste die Lippen fest aufeinander.
»Zeugenschutzprogramm?«, fragte sie mit wenig Begeisterung in der Stimme und hob zweifelnd eine Augenbraue.
»Nein, wir nennen es anders. Sehen Sie«, begann Les, »wir können nicht ausschließen, dass Sie recht hatten, als Sie vermuteten, jemand könne im Institut nur darauf warten, Sie aus dem Weg zu räumen. Wir haben bislang noch keine gesicherten Informationen darüber, wer hinter dem Überfall steckt. Wie Sie selbst sagten: Es kann gut sein, dass Sie noch immer in Gefahr schweben.«
Die schöne Frau hatte jetzt die Arme verschränkt, kaute auf ihrer Unterlippe und sah ihre Mutter an. Die tätschelte die Schulter der Tochter. »Es ist bestimmt vernünftig, auf den Rat der Agents zu hören, Cass. Ich kann dich nun wirklich nicht beschützen.«
»Aber wenn man die Lage mal rational analysiert, und dazu tendieren Naturwissenschaftler wie ich ja immer, dann bleibt doch festzuhalten: Der Dieb hat bekommen, was er wollte. Es wäre doch dumm, sich jetzt noch mal in Gefahr zu begeben, um mich aus dem Weg zu räumen. Ich habe doch nichts gesehen, ich kann niemandem gefährlich werden«, sagte Dr. Haigh mit fester Stimme.
»Wenn alle Verbrecher immer so rational denken würden wie Naturwissenschaftler, dann läge unsere Aufklärungsquote wahrscheinlich bei knapp unter 100 Prozent«, lachte Joe Brandenburg.
»Cass«, schaltete sich jetzt die Mutter wieder ein, »ich weiß, dass du deinen Dickkopf von deinem Vater – Gott hab ihn selig – geerbt hast. Aber in diesem Fall muss ich dir deutlich widersprechen. Du musst mit den Agents gehen. Wenigstens für eine kurze Zeit.«
Dr. Haigh rang mit sich, und nach kurzer Zeit hatte sie sich entschieden. »Nein, ich werde nicht mit Ihnen gehen. Das ist wirklich nichts für mich. Ich möchte …«
Weiter kam sie nicht, denn in diesem Augenblick zersprang die große Panoramafensterscheibe des Wohnzimmers in Tausende von Splittern, und fast gleichzeitig zerbarst der große Spiegel an der gegenüberliegenden Wand, neben dem Cassia Haigh stand. Splitter flogen wie Rasiermesser durch den Raum.
Joe und Les reagierten sofort. Im nächsten Augenblick hatten sie ihre Dienstwaffen in der Hand. Joe riss die Wissenschaftlerin geistesgegenwärtig zu Boden, Les schob ihre Mutter vor sich her aus dem Zimmer. »Gehen Sie in den Keller!«, wies er die ältere Dame an. Joe warf einen schnellen Blick aus dem kaputten Fenster und tauchte schnell wieder ab. Er schüttelte den Kopf. »Nichts zu sehen.«
Fast gleichzeitig platzten neben dem geborstenen Spiegel zwei tellergroße Stücke Mauerwerk aus der Wand.
***
Terroristen, die in der Lage sind, 150 Meter lange Zerstörer der US Navy zu torpedieren und zu versenken? Was das bedeutete, konnte ich mir an meinen fünf Fingern abzählen. Das war Wahnsinn. Fast unvorstellbar. Ich sah Mr White an und fragte: »Verfügt Ihr Haus oder eine andere Regierungsorganisation denn über Pläne oder Konzepte, was zu tun ist, wenn dieser Fall eintritt?«
»Sie meinen, ob es einen fertigen Plan in der Schublade gibt? Nein, soweit ich weiß, gibt es das nicht. Wie Sie wissen, gibt es Tausende denkbare Gefahrenszenarien, die eintreten könnten – eines schlimmer als das andere. Es ist leider nicht möglich, für jeden Fall, der eintreten könnte , eine individuelle Einsatzvorgabe zu erarbeiten. »
»Wir erinnern uns doch alle noch daran«, meldete sich Mr High zu Wort, »dass es Al-Qaida schon einmal fast gelungen wäre, einen unserer modernsten Zerstörer zu versenken. Ist seither denn nichts passiert?«
White beugte sich tief über seine Tasse Kaffee und nahm einen Schluck. Dann lehnte er sich wieder zurück, stand vom Tisch auf, lehnte sich ans Fenster und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Sie meinen den Sprengstoffanschlag auf die USS Cole im Jemen, im Hafen von Aden, richtig? Das war für uns ein ziemlicher Schlag, der uns unvorbereitet traf. Natürlich setzen wir alles daran, zu verhindern, dass etwas Ähnliches noch mal passiert. Aber es gibt keine Garantie.« Er drückte sich vom Fenster ab und setzte sich wieder auf seinen Platz, ehe er fortfuhr: »Wir verhindern fast täglich
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