Jerry Cotton - Folge 2942: Das letzte Level ist der Tod (German Edition)
Hell. Auf der Leinwand tummelten sich die bunten Fantasiewesen einer Unterwasserwelt, grimmig dreinblickende Rotaugen, die sich bewegten wie austrainierte Kung-Fu-Kämpfer, bis an die Kiemen bewaffnete Hechte und blau schillernde Makrelen mit vier Double-Action-Revolvern im Anschlag.
Während Lizzy Brown einzelne Spielabläufe in Level drei demonstrierte, sah ich mich im Publikum um. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Anwesenden handelte es sich offensichtlich um Fachbesucher, Mitarbeiter von Konkurrenzfirmen, Vertreter von Fachzeitschriften, Betreiber von Spielerforen und entsprechenden Blogs im Netz.
Nur wenige jugendliche Spieler drückten sich in den letzten Reihen herum. Sie würden im Anschluss an die Präsentation ein von Matt Crown handsigniertes Exemplar von Wings of Hell erwerben und die nächsten Wochen abtauchen, um alle Level bis zum bitteren Ende durchzuspielen.
Und am Ende den goldenen Vogel besiegen.
Wenn sie es drauf hatten.
Ein junger, offenbar blinder Mann fiel mir auf, den es nicht an seinem Platz hielt. Er trug Jeans und ein dunkelblaues Sweatshirt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Die Augen hatte er hinter einer großen, schwarzen Sonnenbrille versteckt, in der rechten Hand hielt er einen weißen Blindenstock, mit dem er sich den Seitengang rauf und runter tastete.
Die Ausführungen von Colin Hicks und Lizzy Brown schienen ihn nicht weiter zu interessieren. Ruhelos wanderte er auf und ab, als wartete er darauf, dass irgendetwas passierte.
Ich beschloss, ihn im Auge zu behalten. Ein unbestimmtes Gefühl sagte mir, dass mit dem Kerl etwas nicht stimmte. Gerade als ich Phil auf ihn aufmerksam machen wollte, klingelte mein Handy. Es war unser Kollege Steve Dillaggio.
»Ich habe gerade einen Anruf für dich entgegengenommen, Jerry. Von der Polizei in Havanna. Ich dachte, das ist vielleicht interessant für dich.«
»Mach’s nicht so spannend, Steve. Was haben sie dir gesagt?«
»Sie haben deine Anfrage bearbeitet und tatsächlich einen ungeklärten Todesfall gefunden, auf den deine Angaben passen.«
Ich spürte ein Kribbeln im Nacken, ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein Fall in die entscheidende Phase eintrat.
»Letztes Jahr im August wurde an den Playas del Este die Leiche einer jungen Frau gefunden. Sie wurde erwürgt. Ihr Gesicht war durch Säure völlig zerstört. Außerdem hatte der Täter ihre Fingerkuppen verätzt, sodass man keine Fingerabdrücke nehmen konnte. Da bei der Leiche keinerlei persönliche Dinge gefunden wurden, war eine Identifizierung unmöglich.«
Arme Sally Wilkins. Ihre Absicht, sich von Matt Crown zu trennen, hatte sie mit dem Leben bezahlt.
»Danke, Steve. Etwas Ähnliches hatte ich erwartet.«
Ich steckte das Handy wieder ein und sah mich um. Der Kapuzenmann mit dem weißen Teleskopstock war verschwunden. Ich wandte mich fragend an Phil.
»Welcher Blinde? Ist mir nicht aufgefallen.«
»Er kann noch nicht weit sein«, rief ich meinem Kollegen zu und war bereits auf dem Weg zu den Aufzügen.
Hinter einer hohen Gummipflanze im Flur entdeckte ich zwei Dinge, die meinen Verdacht bestätigten: einen Blindenstock und eine große, schwarze Sonnenbrille.
Der Blinde hatte sich ihrer auf der Flucht entledigt. Offenbar hielt er es nicht mehr für nötig, seine Identität zu verbergen. Im Aufzug klärte ich Phil über meine Beobachtung auf.
»Wer hat sich deiner Meinung nach hinter der Verkleidung versteckt? Etwa der geheimnisvolle Matt Crown?«
»Möglich. Andererseits, warum muss er sich bei einer Veranstaltung seiner eigenen Firma tarnen? Eigentlich wäre sein Platz auf der Bühne gewesen.«
»Natürlich. Aber dieser Kerl scheint es ja geradezu zu genießen, seine Existenz mit der Aura des Geheimnisvollen zu umgeben.«
Womit mein Partner hundertprozentig recht hatte.
Die Fahrstuhltüren glitten zur Seite. Wir stürmten durchs Foyer auf den Ausgang zu. Es regnete immer noch in Strömen. Nur wenige Fußgänger waren unterwegs.
Der Kapuzenmann war nicht dabei.
Wir teilten uns, Phil lief nach links, ich nach rechts. An der Kreuzung blickte ich die East 6th Street hinunter. In Höhe der La Salle Academy machte ich einen dunklen Punkt aus und nahm die Verfolgung auf. Am Ende der Straße wusste ich, dass ich mich nicht getäuscht hatte. Der Mann, den ich verfolgte, war der Kapuzenmann aus dem Standard. Anfangs machte ich schnell Boden gut, dann merkte er offenbar, dass er verfolgt wurde, und verschärfte das Tempo.
An der Second Avenue bog er nach
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