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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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versuchte, ein eigenes Herrschaftsgebiet aufzubauen, war er so aufgebracht, dass er ihm stattdessen Teile des Irak unterstellte. Dieser lebenslustige Neffe und ein Großteil von Saladins Familie kamen nun nach Jerusalem, um die Befreiung der Stadt zu feiern. [112]
    Saladins Stadt
    Saladin sah zu, wie die lateinischen Christen Jerusalem für immer verließen: Jeder Mann musste zehn Dinar Lösegeld zahlen, jede Frau fünf Dinar und jedes Kind einen Dinar. Niemand durfte ohne Zahlungsnachweis die Stadt verlassen, aber Saladins Beamte machten ein Vermögen mit Bestechungsgeldern, und Christen wurden in Körben an den Stadtmauern hinuntergelassen oder entkamen getarnt. Saladin war nicht an Geld interessiert, er erhielt zwar 220 000 Dinar, aber vieles davon versickerte.
    Tausende Jerusalemer konnten das Lösegeld nicht aufbringen und kamen in die Sklaverei oder in den Harem. Balian zahlte 30 000 Dinar Lösegeld für 7000 arme Jerusalemer, und Safadin, der Bruder des Sultans, erbat sich tausend Unglückliche, denen er die Freiheit schenkte. Jeweils fünfhundert gab Saladin Balian und dem Patriarchen Heraklius. Die Muslime sahen mit Entsetzen, dass der Patriarch seine zehn Dinar entrichtete und die Stadt mit Wagen voller Gold und Teppiche verließ. »Wie viele gut behütete Frauen wurden entehrt, herrschende beherrscht, junge Mädchen geheiratet«, erinnerte sich Saladins Sekretär Imad al-Din mit schauriger Schadenfreude, »Jungfrauen entjungfert, Anmaßende geschändet, Schöne mit roten Lippen ausgesaugt, Braune hingestreckt, Unbezähmbare gezähmt, Zufriedene zum Weinen gebracht! Wie viele Edle nahmen sie zu Beischläferinnen … wie viele von hohem Wert wurden zu niedrigen Preisen verkauft.«
    Unter den Augen Saladins verließen die Christen die Stadt in zwei Kolonnen; als sie einen letzten Blick zurückwarfen und den Verlust Jerusalems beweinten, dachten sie: »Sie, die man die Herrin anderer Städte nannte, war zur Sklavin und Dienerin geworden.«
    Am Freitag, dem 2. Oktober, zog Saladin in Jerusalem ein und befahl, den Tempelberg, den die Muslime Haram al-Sharif nannten, von den Ungläubigen zu säubern. Das Kreuz auf dem Felsendom warfen sie unter den Rufen »Allahu Aqbar« hinunter, schleiften es durch die Stadt und zerschlugen es, die Jesusbilder rissen sie heraus, die Klöster nördlich vom Dom rissen sie ab und entfernten die Trennwände der Zellen und Gemächer aus der al-Aqsa-Moschee. Saladins Schwester traf mit einer Kamelkarawane mit Rosenwasser aus Damaskus ein. Der Sultan und sein Neffe Taki, unterstützt von einem Putztrupp aus Prinzen und Emiren, säuberten persönlich die Höfe des Haram mit Rosenwasser. Saladin holte Nur al-Dins geschnitzten hölzernen Minbar aus Aleppo und baute ihn in die al-Aqsa-Moschee ein, wo er 700 Jahre blieb.
    Der Sultan ließ weniger abreißen und neu bauen, als vielmehr Vorhandenes anpassen und ausschmücken, wobei er die prachtvollen Spolien der Kreuzfahrer mit ihren Rankenmustern, Kapitellen und Akanthusblättern verwendete; da seine Architektur mit den Symbolen seiner Feinde arbeitete, sind die Bauten der Kreuzfahrer und die Saladins nur schwer zu unterscheiden.
    Alle angesehenen muslimischen Religionsgelehrten und Kleriker von Kairo bis Bagdad wollten beim Freitagsgebet predigen, aber Saladin wählte den Kadi von Aleppo aus und gab ihm ein schwarzes Gewand: Seine Predigt in der al-Aqsa-Moschee pries die Vorzüge – fadail – des islamischen Jerusalem. Saladin selbst wurde durch die »Befreiung des Bruderheiligtums von Mekka« zum »Licht, das in jede Dämmerung scheint, die den Gläubigen Dunkelheit bringt«. Er betete im Felsendom, den er »das Juwel im Siegelring des Islam« nannte. Seine Liebe zu Jerusalem war »so groß wie Berge«. Er sah es als seine Mission, ein islamisches Jerusalem zu schaffen, und überlegte, ob er den »Misthaufen« – die Grabeskirche – abreißen sollte. Einige seiner Adeligen forderten den Abriss, aber er war der Ansicht, dass der Ort eine heilige Stätte bleiben würde, ob die Kirche nun dort stand oder nicht. Unter Berufung auf Omar den Gerechten schloss er die Kirche für drei Tage und übergab sie dann den griechisch-orthodoxen Christen. Insgesamt duldete er die meisten Kirchen, war aber bestrebt, den unislamischen Charakter des christlichen Viertels zu verringern. Kirchengeläut wurde wieder verboten. Über Jahrhunderte hinweg bis ins 19. Jahrhundert hielt der Muezzin das Monopol über die sakrale Geräuschkulisse, während die

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