Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Familienlebens – er hatte 17 Söhne –, aber er war mittlerweile 54 Jahre alt und verbraucht. Sein Sohn Zahir spürte vielleicht, dass er seinen Vater nie wiedersehen würde, und ließ ihn nur ungern gehen, immer wieder verabschiedete er sich rührend von ihm und ritt dann noch einmal zurück, um Saladin zu küssen. In Damaskus fand Ibn Shaddad den Sultan beim Spiel mit einem seiner kleinen Söhne in einem Gartenpavillon des Palastes, während fränkische Barone und türkische Emire auf eine Audienz warteten.
Einige Tage später streckte ihn ein Fieber, vermutlich Typhus, nieder, nachdem er die Pilgerkarawane aus Mekka begrüßt hatte. Seine Ärzte ließen ihn zur Ader, aber sein Zustand verschlechterte sich. Als er um warmes Wasser bat, war es ihm zu kalt: »Guter Gott, gibt es denn keinen, der das Wasser richtig temperieren kann!«, rief er aus. Am 3. März 1193 bei Morgengrauen starb er, während man ihm aus dem Koran vorlas. Ibn Shaddad erklärte, er und andere hätten ihn am liebsten »mit unserem Leben freigekauft«. Und er überlegte:
Dann vergingen diese Jahre und ihre Akteure
Als seien sie alle nur Träume gewesen.
Muazzam Isa: Der andere Jesus
In den folgenden sechs Jahren bekämpften sich Saladins Söhne gegenseitig in wechselnden Bündnissen, während ihr gewiefter Onkel Safadin zwischen ihnen vermittelte. Die drei ältesten Söhne, Afdal, Zahir und Aziz, bekamen Damaskus, Aleppo und Ägypten, während Safadin Outrejourdain und Edessa regierte.
Der mittlerweile 22-jährige Afdal erbte Jerusalem, das er sehr mochte. Er baute die Omar-Moschee unmittelbar neben der Grabeskirche und siedelte Nordafrikaner in einem maghrebinischen Viertel an, wo er nur wenige Meter neben der Westmauer die Afdaliyya-Medrese errichtete.
Afdal, einem unfähigen Trinker, fiel es schwer, loyale Anhänger an sich zu binden, und so wurde Jerusalem zum Spielball der verfehdeten Brüder. Als Aziz gerade als Sultan aus diesen Kriegen hervorgegangen war, kam er bei der Jagd ums Leben. Die überlebenden Brüder Afdal und Zahir verbündeten sich gegen ihren Onkel, aber Safadin besiegte beide, riss das Reich an sich und regierte zwanzig Jahre lang als Sultan. Safadin war kalt, elegant und streng, aber er war kein Saladin: Kein einziger Zeitgenosse schilderte ihn mit Zuneigung, obwohl alle ihn respektierten. Er war »äußerst erfolgreich und vermutlich der Fähigste seiner Linie«. In Jerusalem gab Safadin den Bau des Doppeltores – das Kettentor und das Tor der Göttlichen Gegenwart, vermutlich an der Stätte des Schönen Tores der Kreuzfahrer – in Auftrag, das erlesene fränkische Spolien vom Templerkloster verwendete und einen Vorbau mit Doppelkuppel und Kapitelle mit Tier- und Löwenfiguren besaß. Es bildet bis heute den westlichen Haupteingang zum Tempelberg. Aber noch bevor er Sultan wurde, übergab er seinem zweitgeborenen Sohn Muazzam Isa (Isa ist arabisch für Jesus) 1198 Syrien.
Muazzam machte Jerusalem 1204 zu seiner Hauptstadt und Amalrichs Palast zu seiner Residenz. Er war umgänglich, offen und das beliebteste Mitglied seiner Familie seit Saladin. Wenn er Gelehrte aufsuchte, um Philosophie oder Naturwissenschaften zu studieren, ging er einfach in ihr Haus wie ein gewöhnlicher Student. »Ich sah ihn in Jerusalem«, erinnerte sich der Historiker Ibn Wasil. »Männer, Frauen und Jungen drängten sich um ihn, ohne dass jemand sie weggestoßen hätte. Trotz seines Mutes und hohen Ehrgefühls hatte er wenig Sinn für Gepränge. Er ritt nur mit kleiner Eskorte ohne die königlichen Standarten. Auf dem Kopf trug er eine gelbe Kappe und ging über Märkte und Straßen, ohne dass man ihm einen Weg bahnte.«
Muazzam war einer jener Herrscher, die in Jerusalem die umfangreichste Bautätigkeit entfalteten, er setzte die Stadtmauern instand, baute sieben wuchtige Türme und wandelte die Kreuzfahrerbauten auf dem Tempelberg in muslimische Sakralbauten um. [157] Im Jahr 1209 siedelte er 300 jüdische Familien aus Frankreich und England in Jerusalem an. Als der jüdische Dichter Juda al-Harizi seine Pilgerfahrt aus Spanien machte, pries er die Dynastie Muazzams und Saladins, auch wenn er um den Tempel trauerte: »Tagtäglich gingen wir hinaus, um Zion zu weinen, wir trauerten um ihre zerstörten Paläste, wir stiegen auf den Ölberg, um uns vor dem Ewigen niederzuwerfen. Welche Qual, unsere heiligen Höfe in einen fremden Tempel verwandelt zu sehen.« Unvermittelt gerieten Muazzams Leistungen 1218 in Gefahr, als Johann von
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