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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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Jerusalem platzte aus allen Nähten vor lauter Pilgern und Touristen. Daneben sah man Quacksalber, Schausteller und Straßenhändler, montenegrinische Polizisten, berittene türkische Gendarmen, Pilger auf Eseln und Pilger auf Karren, außerdem Engländer und Amerikaner, aber die Heilige Stadt ist in der Hand von Russen, Armeniern, Bulgaren und arabischen Christen.«
    Russische Profitmacher zogen den Reisenden das Geld aus der Tasche. Ein typischer Vertreter dieser Spezies war Philipp, »ein hochgewachsener Bauer – breitschultrig, aber fett, mit einem breiten, schmutzigen Gesicht mit schwarzen Bartstoppeln und einem buschigen Schnauzbart, der irgendwie wollüstig wirkte, wie er über die fleischigen roten Lippen hing –, ein Kuppler für die Mönche, ein Schlepper für die Verkäufer von Devotionalien, ein Warenschmuggler, ein sittenloser Mensch und ein Händler mit religiösen Andenken«, die in einer sogenannten Judenfabrik hergestellt wurden. Gefallene Priester verbrachten den Rest ihrer Jerusalemer Tage »in Trunkenheit und religiösem Wahn und als Leichenwäscher« – denn es waren nicht wenige Russen, die in Jerusalem (glücklich) ihr Leben aushauchten. Um das Tollhaus komplett zu machen, predigten marxistische Aufwiegler den russischen Bauern von Revolution und Atheismus.
    Am Palmsonntag des Jahres, in dem sich Graham in Jerusalem aufhielt, drängten türkische Soldaten die Pilger zurück, während Christen und vor allem »orthodoxe Araber in religiöser Verzückung und mit viel Geschrei und Gekreisch« aus der Kirche strömten, als sich plötzlich ein »Trupp Türken mit roten Kappen und Muslime mit Turbanen mit einem lauten Schlachtruf auf sie stürzten, sich mit Hauen und Dreschen eine Bresche zum Träger des Ölzweigs schlugen, diesen in ihren Besitz brachten, in Stücke brachen und davonrannten. Eine junge Amerikanerin zückte ihre Kodak. Die arabischen Christen schworen Rache.« Danach warteten die russischen Pilger am Goldenen Tor auf die Wiederkehr des »großen Eroberers«. Aber der Höhepunkt war wie immer das heilige Feuer: Als die Flamme erschien, »drückten verzückte Osteuropäer brennende Kerzen an die Brust und stießen ekstatische Freudenschreie aus. Sie sangen, als stünden sie unter dem Einfluss irgendeiner Droge, und immer wieder war der eine Ruf zu hören: KYRIE ELEISON: CHRISTUS IST AUFERSTANDEN!« Dann allerdings »brach eine Massenpanik aus«, und die Menschen mussten mit Peitschen und Gewehrkolben zur Ruhe gebracht werden.
    In dieser Nacht packten Grahams Begleiter – »aufgewühlt und zappelig wie die Kinder« – Jerusalemer Erde, Jordanwasser, Palmzweige, Totenhemden und Stereoskope in ihre Taschen – »und wir fielen uns wieder und wieder in die Arme und küssten uns!«
Was für eine Umarmerei und Küsserei das war in dieser Nacht; herzhaftes Lippenschmatzen, sich verheddernde Bärte und Schnurrhaare. Ein rauschender Festtag zog herauf. Die meisten Engländer wären entsetzt über die Mengen an Wein, Cognac und Anisschnaps, die dabei flossen. Und das trunkene Tanzen hätte Jesus sicher ziemlich befremdlich gefunden!
    In diesem Jahr fiel Ostern mit dem Passahfest und dem Nabi-Musa-Fest zusammen. Während Rasputin über den Anstand der orthodoxen Ordensschwestern wachte, den Wasif fleißig zu untergraben suchte, sorgte ein britischer Aristokrat für diplomatische Verwicklungen und internationale Schlagzeilen. [162]
    Der Ehrenwerte Hauptmann Monty Parker und die Bundeslade
    Monty Parker, ein 29-jähriger Adeliger mit einem stattlichen Schnurrbart und einem Spitzbart nach Art Edwards VII., mit teurem Geschmack und minimalem Einkommen, war ein opportunistischer, aber gutgläubiger Gauner und immer auf der Suche nach leicht verdientem Geld – oder doch zumindest nach jemandem, der sein luxuriöses Leben finanzierte. 1908 machte dieser Eton-Absolvent, Sohn eines Ministers in Gladstones letzter Amtsperiode, jüngerer Bruder des Grafen von Morley, ehemaliger Offizier der Grenadier Guards und Veteran des Burenkrieges die Bekanntschaft eines finnischen Hierophanten, der ihn davon überzeugte, dass sie es gemeinsam schaffen würden, den kostbarsten Schatz der Weltgeschichte zu heben.
    Der Finne war Valter Juvelius, Lehrer, Dichter und Spiritist, der sich gern in biblische Gewänder kleidete und biblische Rätsel entschlüsselte. Nachdem er sich jahrelang mit dem Buch Hesekiel beschäftigt hatte, glaubte er nun, bestärkt durch etliche Séancen mit einem schwedischen Medium, den

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