Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
den radikalen als den gemäßigten Kräften in die Hände. 1934 entzog der neue Hochkommissar Arthur Wauchope Nashashibi seine Unterstützung und setzte sich für die Wahl eines Khalidi ins Bürgermeisteramt ein. Die Kluft zwischen den Husseinis und den Nashashibis wurde immer tiefer.
Über der Welt zogen dunkle Wolken auf, die Lage spitzte sich zu. Vor dem Hintergrund des um sich greifenden Faschismus erschienen die Kompromissbereiten als Schwächlinge; Brutalität und Gewalt wurden nicht nur zu einer annehmbaren, sondern sogar zu einer reizvollen Alternative. Am 30. Januar 1933 wurde Hitler als deutscher Reichskanzler vereidigt. [253] Nur zwei Monate später, am 31. März, stattete der Mufti dem deutschen Konsul in Jerusalem, Heinrich Wolff, insgeheim einen Besuch ab und erklärte, dass »die Muslime in Palästina die neue Regierung« begrüßen und überdies hoffen würden, »dass die faschistische antidemokratische Führung rasch um sich greift und es zum Boykott der Juden in Deutschland kommt«.
Hitlers Machtübernahme sorgte für Unruhe in der jüdischen Bevölkerung. Die Einwanderungen, die beträchtlich zurückgegangen waren, nahmen jetzt in einem Maße wieder zu, das die demographischen Verhältnisse in Palästina für immer verändern sollte. Im Jahr 1933 kamen 37 000 jüdische Immigranten in Palästina an, 1934 waren es 45 000. 1936 standen in Jerusalem 100 000 jüdische Einwohner 60 000 arabischen Christen und Muslimen gegenüber. [176] Während die aggressive Politik der Nationalsozialisten und der um sich greifende Antisemitismus den Frieden in Europa bedrohten und die Spannungen in Palästina zunahmen, [254] regierte Arthur Wauchope ein neues Jerusalem, Hauptstadt des kurzlebigen Goldenen Zeitalters der britischen Mandatsherrschaft.
Wauchopes Hauptstadt: Jagdausflüge, Cafés, Festgesellschaften und weisse Anzüge
Wauchope, ein gutbetuchter Junggeselle, war ein geselliger Mensch. Von zwei Kawassen mit vergoldeten Standarten flankiert, einen Helm mit Federbusch auf dem Haupt, begrüßte der General seine Gäste im neuen Government House auf dem Ölberg südlich der Altstadt, einem eklektizistischen Palast in freiherrlich-maurischem Stil mit einem achteckigen Turm, umgeben von weitläufigen Grünanlagen mit Pinien- und Akaziengruppen. Das Anwesen war eine englische Miniaturwelt für sich – ein Ballsaal mit prachtvollen Lüstern und eine Galerie, auf der das Polizeiorchester spielte, Speisesäle, ein Billardraum, getrennte Toiletten für Engländer und Einheimische sowie – wie geschaffen für eine hundeverrückte Nation – der einzige Hundefriedhof, den es in Jerusalem je gab. Die männlichen Gäste trugen Uniform oder Frack und Zylinder. »Geld und Champagner«, erinnerte sich einer von ihnen, »flossen in Strömen.«
Wauchopes Wohn- und Amtssitz war das Herzstück eines modernen, von den Briten in atemberaubendem Tempo geschaffenen Jerusalem. Der alte Earl of Balfour fand sich persönlich zur Einweihung der hebräischen Universität auf dem Skopusberg ein. Der Architekt des Empire State Building errichtete ein phallusartiges YMCA-Gebäude. Die Rockefellers bauten ein gotisch-maurisches Museum nördlich der Stadtmauern. Die King George Avenue mit ihren eleganten Läden und Cafés mit goldschimmernden Kronleuchtern, »wo sich kulturliebende Juden und Araber mit kultivierten Briten trafen, wo verträumte, langhalsige Damen in Abendkleidern am Arm von Herren in dunklen Anzügen dahinschwebten«, wie ein junger jüdischer Bewohner der Stadt namens Amos Oz, der später ein berühmter Schriftsteller werden sollte, schrieb. Es waren die unbeschwerten Jahre des Jazz in Jerusalem, in denen es die Flapper schafften, schnelle Autos und evangelikale Erweckerphantasien unter einen Hut zu bringen. »HAREM-SCHÖNHEITEN STEUERN FORD-LIMOUSINEN DURCH JERUSALEM«, war im Boston Herold ein Interview mit Bertha Spafford überschrieben, die, wie es weiter hieß, »die Türken mit amerikanischen Sportwagen und Thermosflaschen bekannt gemacht hat und sagt, dass nicht Balfour, sondern Gott die Juden zurückbringen wird nach Palästina«.
Jerusalem fehlte zwar noch der Luxus einer Großstadt, aber immerhin bekam die Stadt 1930 ihr erstes Weltklasse-Hotel, das von reichen ägyptischen Juden und dem Bankier Frank Goldsmith (Vater von Sir James) mitfinanzierte King David, das, kaum dass es die Tore geöffnet hatte, zum angesagtesten Treffpunkt der eleganten Welt in Jerusalem wurde, berühmt für seinen »biblischen
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