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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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konnte. Die Antwort, schrieb Nusseibeh, war ein »bewaffneter Aufstand«.
    Mit dieser Bedrohung sah sich Weizmann, mittlerweile wieder Präsident der Zionistischen Weltorganisation, konfrontiert, aber die eigentliche Macht lag jetzt bei Ben-Gurion, der gerade zum Vorsitzenden der Exekutive der Jewish Agency, der höchsten Instanz im Jischuw, gewählt worden war. Beide Männer waren Autokraten und Verstandesmenschen, und beide glaubten an den Zionismus und die westliche Demokratie. Aber ansonsten waren sie grundverschieden. Ben-Gurion war ein barscher, zupackender Mann der Tat, bereit, im Krieg wie im Frieden die Führung zu übernehmen. Oberflächliche Konversation (außer über Geschichte und Philosophie) war ihm verhasst, und es mangelte ihm vollkommen an Humor – wenn er, der ziemlich klein war, überhaupt je einen Witz machte, dann über den ebenfalls kleinen Wuchs Napoleons. Die Pointe lautete: »Niemand war größer als Napoleon, allenfalls höher gewachsen.« Der unglücklich verheiratete Vater zweier Kinder unterhielt in London eine heimliche Beziehung zu einer großen, blauäugigen Engländerin. Aber er war ein grüblerischer Einzelgänger und ein bedächtiger, von seinen Zielen besessener Stratege, der Bücher sammelte und jede freie Minute in Antiquariaten verbrachte. Der Alte, wie er bereits genannt wurde, lernte Spanisch, um Cervantes zu lesen, und Griechisch, um sich eingehend mit Plato zu beschäftigen. Als politischer Entscheidungsträger las er die griechischen Philosophen, wenn er Krieg führte, las er Clausewitz.
    Weizmann dagegen war der Grandseigneur des Zionismus; er trug maßgeschneiderte Anzüge, war in den Salons in Mayfair eher zu Hause als auf den Feldern unter der sengenden Sonne Galiläas, und mittlerweile wohlsituiert als Besitzer von Gründeraktien von Marks & Spencer, einer Schenkung der mit ihm befreundeten Familie Sieff. »Jetzt sind Sie der König von Israel«, sagte Ben-Gurion einmal zu ihm, aber er wandte sich bald gegen Weizmanns »Politik des Personenkults«. Weizmann, der sich bewusst war, dass er nicht zum Kriegsherrn geschaffen war, empfand für die militante Art des Jüngeren halb Bewunderung, halb Abscheu. Auf den 700 Seiten seiner Memoiren erwähnt er Ben-Gurions Namen genau zweimal. Weizmann hatte vielleicht äußerlich Ähnlichkeit mit Lenin, aber tatsächlich war Ben-Gurion dem Bolschewiken in seinem schonungslosen Pragmatismus charakterlich ähnlicher.
    Er war als Sozialist in der Arbeiterbewegung groß geworden und hatte den Glauben daran, dass ein neues Palästina nur von der arabischen und der jüdischen Arbeiterklasse gemeinsam geschaffen werden könne, noch nicht vollkommen verloren. Ben-Gurion mag von einem jüdischen Staat geträumt haben, aber er lag für ihn in sehr weiter Ferne. Da ihm bewusst war, dass »der arabische Nationalismus fast gleichzeitig geboren worden war wie der politische Zionismus«, schien ihm eine arabisch-jüdische Konföderation das Äußerste, worauf die Juden in dieser Zeit hoffen konnten. Er und der Mufti fühlten jeweils beim anderen vor, wie realistisch die Möglichkeit eines gemeinsamen Staates war; ein Kompromiss schien noch möglich. Im August 1934 nahm Ben-Gurion Gespräche mit dem für die Briten arbeitenden Anwalt Musa al-Alami [258] und dem Schriftsteller George Antonius auf, die zu den gemäßigten Beratern des Muftis gehörten. Ben-Gurion schwebten zwei Alternativen vor: entweder eine gemeinsame jüdisch-arabische Regierung oder eine eigenständige jüdische Einheit innerhalb einer arabischen Föderation, die Transjordanien und den Irak umfassen sollte. Palästina, so argumentierte Ben-Gurion, sei wie ein Sofa: es sei Platz für zwei darauf. Der Mufti war beeindruckt, legte sich aber auf nichts fest. Alami äußerte später die Einschätzung, dass der eine ein so überzeugter Nationalist sei wie der andere, dass Ben-Gurion aber der bei weitem Flexiblere und diplomatisch Geschicktere von beiden sei. Er bedauerte, dass die Araber keinen Mann wie Ben-Gurion hatten. Unterdessen entglitt dem Mufti zunehmend die Kontrolle über die Bewegung.
    Im November 1935 blies ein syrischer Geistlicher namens Izzat al-Din al-Qassam, der am Scharia-Gerichtshof des Muftis in Haifa arbeitete und jeden politischen Kompromiss ablehnte, zum Aufstand gegen die Briten. Er war in seinen Ansichten wesentlich radikaler als der Mufti, ein islamistischer Fundamentalist, der an das heilige Märtyrertum glaubte, ein Wegbereiter von Al-Qaida und der

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