Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
und die Sikarier, die Dolche schwingenden Räuber, stürmten die Oberstadt und vertrieben die Truppen König Agrippas. Sie brannten die Paläste der Hohepriester und Makkabäer und die Archive nieder, in denen Schulddokumente aufbewahrt wurden. Für kurze Zeit beherrschte ihr Anführer, ein »unerträglicher Tyrann«, Jerusalem, bis die Priester ihn ermordeten und die Sikarier in die Festung Masada in der Nähe des Toten Meeres entkamen und bis zum Fall Jerusalems keine weitere Rolle mehr spielten.
Offiziell hatten die Priester zwar wieder die Kontrolle über die Stadt, aber nun brach in Jerusalem ein heftiger, chaotischer Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Gruppierungen und ihren Anführern aus, die überwiegend provinzielle Opportunisten, lokale Abenteurer und religiöse Fanatiker waren. Selbst Josephus, unsere einzige Quelle, vermochte nicht zu klären, wer die verschiedenen Parteien waren und welche Überzeugungen sie vertraten. Allerdings führte er den religiösen antirömischen Fanatismus bis auf die galiläischen Aufstände nach dem Tod Herodes des Großen zurück und stellte fest, dass sie »mit großer Zähigkeit an der Freiheit hängen und Gott allein als ihren Herrn und König anerkennen«. Sie säten »all das Unheil, das gar bald anfing, Wurzel zu treiben«. In den folgenden Jahren kämpften Juden gegen Juden in einem endlosen Gemetzel.
Die 600 Mann starke römische Garnison, die noch die Zitadelle Herodes’ des Großen hielt, erklärte sich bereit, gegen freien Abzug aus der Stadt die Waffen niederzulegen; aber diese Syrer und Griechen, die so viele unschuldige Juden massakriert hatten, wurden »alle grausam ermordet«. Nun gab König Agrippa seine Vermittlungsbemühungen auf und griff auf Seiten Roms ein. Im November 66 marschierte der römische Statthalter Syriens mit Unterstützung Agrippas und verbündeter Könige ein und kämpfte sich von Antiochia bis nach Jerusalem durch, entschloss sich aber unvermittelt – vielleicht aufgrund von Bestechung – zum Abzug. Sein Rückzug unter heftigen jüdischen Angriffen kostete nicht nur die Standarte einer Legion, sondern auch über 5000 römische Soldaten das Leben.
Der Würfel war gefallen. Der römische Stolz schrie nach Rache. Die Rebellen wählten den ehemaligen Hohepriester Ananus zum Führer des unabhängigen Israel. Er verstärkte die Stadtmauern, während die Stadt vom Hämmern und Schmieden der Waffen und Rüstungen widerhallte. Außerdem ernannte er Generäle, darunter auch Josephus, den späteren Geschichtsschreiber, der als Kommandeur von Galiläa die Stadt verließ und dort in erbittertere Kämpfe gegen den Warlord Johannes von Gischala geriet, als einer der beiden je gegen die Römer führte.
Neue jüdische Münzen feierten die »Freiheit Zions« und »Jerusalem die Heilige« – aber allem Anschein nach war es eine Befreiung, die nicht viele gewollt hatten, und die Stadt wartete ab, als sei sie zur Verwüstung verdammt. Nero war in Griechenland, um seine Lieder vorzutragen und bei den Olympischen Spielen an den Wagenrennen teilzunehmen (er gewann, obwohl er aus seinem Streitwagen fiel), als er von der Rebellion Israels erfuhr.
Josephus’ Prophezeiung: der Maultiertreiber als Kaiser
Da Nero erfolgreiche Feldherren fürchtete, ernannte er einen verbissenen Veteranen aus seiner Entourage zum Kommandeur dieses jüdischen Krieges. Titus Flavius Vespasianus war Ende Fünfzig und ärgerte den Kaiser häufig, weil er während dessen Theateraufführungen einschlief. Aber er hatte sich bei der Eroberung Britanniens einen Namen gemacht, und sein Spitzname – Maultiertreiber – zeugte von seiner glanzlosen Zuverlässigkeit und dem Vermögen, das er mit dem Verkauf von Maultieren an die Armee gemacht hatte.
Vespasian schickte seinen Sohn Titus nach Alexandria, um Nachschubtruppen auszuheben, und stellte eine 60 000 Mann starke Armee mit vier Legionen sowie syrischen Schleuderschützen, arabischen Bogenschützen und der Reiterei König Herodes’ Agrippas auf. Dann marschierte er an der Küste entlang nach Ptolemais (Akko). Anfang 67 begann er systematisch, Galiläa zurückzuerobern, wo Josephus und seine Galiläer fanatisch Widerstand leisteten. Schließlich belagerte Vespasian Josephus in seiner Festung Jotapata. Am 29. Juli 67 drang Titus durch die zertrümmerte Stadtmauer vor und nahm die Stadt ein. Die Juden kämpften bis in den Tod, und viele begingen Selbstmord.
Josephus und einige andere Überlebende versteckten sich in einer
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