Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
Vom Netzwerk:
Eisen in die Glut zurück. »Kannst du das, Ritter?«
    »Ich bin kein Ritter, aber ich kann's. Mit deinem Werkzeug.«
    »Dann fang damit an, in Gottes Namen. Bis das Dach fertig ist, kannst du in der Scheune schlafen; du kennst den Platz. Faroard und ich, wir helfen euch - redet mit den anderen, damit sie wissen, woran sie bei dir sind, Rutgar.«
    »Das will ich tun«, versprach Rutgar. Chersala nahm seine Hand und zog ihn zur Tür.
    »Aber erst, nachdem du keinen Hunger mehr hast.«
    Auf den großen Tisch hatte sie von allem, was sie in der Küche gefunden hatte, eine viel zu große Menge herangeschleppt: Milch, Schinken, Fladenbrot, Fisch, Käse und Mus, Honig und Bratenscheiben, Nüsse und getrocknete Früchte. Rutgar ließ sich auf die Bank fallen, füllte einen Becher mit Milch und leerte ihn in drei Zügen.
 
    Die folgenden Tage und Wochen waren leichter, als Rutgar befürchtet, aber anders, als er es erwartet hatte. Die Kinder begafften Kettenhemd und Waffen und wollten damit spielen, die Erwachsenen halfen, wo es nötig war, ohne großes Aufheben zu machen. Rutgar stemmte und zog Quader über schlüpfrig gemachte Balken, hantierte mit nassem Lehm und luftgetrockneten Lehmziegeln, schlug Balken zurecht und flocht Wände aus Ruten und dünnen Ästen, die er mit Lehm ausfüllte, unter den er Sand und Strohhäcksel mit bloßen Füßen hineingewalkt hatte. Beim Zimmern des Dachgestühls half ein Drittel des Dorfs, auch dabei, das Dach mit flachen Strohbündeln und Schilf zu decken und einen Kaminschacht aus gebrannten Ziegeln zu mauern. Sie schafften es vor dem ersten Herbstregen, der nur einen Teil der trocknenden Lehmziegel zerstörte; Rutgar hatte alle anderen unters Dach geschleppt, bis zur Erschöpfung.
    Die Jäger berichteten, dass sich weder fremde Ritter noch Seldschuken in weitem Umkreis des Dorfes aufhielten; es gab zudem wenig Wild in diesem Herbst. Rutgar nahm an den kleinen Festen des Dorfes teil: Wildbraten am Spieß, ein Weinfest, zwei Hochzeiten, einige Kindstaufen, Begräbnisse, Erntedank.
    Niemals hatte Rutgar daran gedacht, dass in einem anderen Land die Bewohner nicht nur in einer ihm unbekannten Sprache reden, sondern dass deren Lieder und Musik ganz anders klingen würden als die Gesänge der Pilger, die sie aus ihrer Heimat mitgebracht hatten. Mit schrillen Flöten, kleinen und großen Trommeln, seltsam schnarrenden Drehleiern und Widderhörnern, mit klirrenden Metallplättchen spielten die Dörfler zu ihren Festen; die alten Lieder, deren Worte Chersala ihm manchmal übersetzte, waren entweder trunken, wild und erregend oder langgezogen, erfüllt von klagender Traurigkeit, und sie entsprachen dem harten Leben der Dörfler und ihrer Furcht vor der Natur und dem Tod.
    Während die Tage kürzer und die Nächte kälter wurden, die Flammen und die Glut der Feuerstelle das Haus trockneten, hämmerte Rutgar lange Holznägel durch Rindenschindeln, mit denen er die Wetterwände des Hauses verkleidete. Auch dies war eine Arbeit, während der er viel Zeit für seine Gedanken hatte - und die hilfreiche Gründlichkeit der Langsamkeit erkannte; zum ersten Mal in seinem Leben. Diese Wahrheit wurde ihm nachts zum ersten Mal bewusst, als er schlaflos neben Chersala lag und auf ihre gleichmäßigen Atemzüge lauschte.
    Er brauchte sich nicht um Essen zu sorgen und nicht um heißen Sud oder Wein, war sicher und geschützt vor Kälte, Regen und Schnee, trug warme, reinliche Kleidung und festes Schuhwerk, das seine Füße nicht peinigte. Er hatte ein besseres Leben als jeder andere, der mit Peter von Amiens gewandert war. Die Unbequemlichkeit täglicher Gebete, Gesänge und Messen war vergessen; erstaunt stellte er fest, dass sie ihm nicht fehlten. Eine seltsame Ruhe hatte ihn überkommen. Er vermisste auch nicht das Geschrei der Eiferer, der ritterlichen noch weniger als der Priester und Mönche. Aus Rutgars Gedanken schien Kukupetros halbwegs verschwunden zu sein wie eine Gestalt aus kindlichen Träumen, aber Rutgar war sicher, ihm bald wieder zu begegnen. Das Leben, warm wie ein weicher Pelz, das er während etlicher Mondwechsel führte, gab ihm Stärke und Gewissheiten; verborgen von Wäldern und Felstälern, weitab von Kriegslärm und Waffengeklirr, lebte er als Fremder in einem fremden Land, in dem ihm nur Chersala wirklich vertraut war.
    Nachts schmiegten sich ihre Körper aneinander, nach der Lust, und im Halbschlaf spürten sie an den scheuen Berührungen ihrer Finger und ihrer Haut, dass sie

Weitere Kostenlose Bücher