Jerusalem
Kampfbereitschaft. Den Lanzenschaft als Hilfe benutzend, sprang Berenger aus dem Sattel. Er lachte, winkte die Waräger zum nächsten Schiff und schlug Rutgar leicht auf die Schulter.
»Die Seldschuken reiten zurück nach Nikaia, in verständlicher Eile. Sind wahrscheinlich genauso hungrig wie wir. Das siegreiche Heer des Sultans wird sich bald aus dem Grenzland zurückgezogen haben.« Berengers blaue Augen strahlten Rutgar an, als habe er selbst den Kampf gewonnen. »Im Grenzland wird einige Zeit lang wieder Ruhe herrschen.«
»So lange, bis die Heere der Ritter übergesetzt werden«, antwortete Rutgar. »Du gehst zurück nach Konstantinopel?«
»Meine Befehle. Es gibt hier nichts mehr zu tun.« Berenger machte eine einladende Armbewegung und ging auf das Heck des Schiffes zu. Nach kurzem Zögern folgte ihm Rutgar. »Und du darfst wieder den Esel deines Predigers striegeln.«
Rutgar gab keine Antwort. Das Gefühl, das ihn erfasst hatte, nachdem er nicht mehr an die Verteidigung der Burg zu denken brauchte, vermochte er sich nicht zu erklären. Ratlosigkeit mischte sich mit Erleichterung, Verwirrung mit den Gedanken eines unwiderbringlichen Verlusts. Noch immer stiegen Pilger und kaiserliche Söldner die hölzerne Schräge hinauf und wurden zwischen Bug und Heck der Galeere verteilt; keiner von ihnen sang oder betete laut.
»Komm!«, sagte Berenger und blickte prüfend in Rutgars Gesicht. »Wir finden schon eine sinnvolle Aufgabe für dich, in Konstantinopel.«
Rutgar nickte und führte den Rappen hinter Berengers Pferd auf den Quadern bis zur Rampe. Berenger zog das Tier auf den nassen, ausgetretenen Brettern aufwärts. Die Hufe rutschten und fanden nur an den Querlatten Halt, die eine Art flache Leiter bildeten. Als das Tier im Bauch des Schiffes verschwunden war, klopfte Rutgar beruhigend den Hals des Schwarzen, packte den Zügel kürzer und zog das Tier die Schräge hinauf. Er sah auf seine Füße und die Vorderhufe und bemühte sich, nicht zu rutschen. In der Mitte der Planke blieb er stehen.
Im selben Atemzug war ihm, als hielte auch die Zeit an. Eine rasende Flut aus Gedanken und Empfindungen wirbelte vor seinem inneren Auge vorbei. Wenige Gedanken vermochte er zu erhaschen und festzuhalten. Wenn mich morgen ein Seldschukenpfeil tötet, wird von meinem Leben nichts geblieben sein, an das sich auch nur ein Mensch erinnert. Nein. Chersala wird um mich weinen. Ich will nicht zurück in den maßlosen Prunk der Großen Stadt, der mir nichts bedeutet.
»Halt!«, sagte er, zog am Zügel und führte den Rappen rückwärts. Das Tier rollte wild mit den Augen, die Steigbügel schlenkerten umher, aber der Rappe gehorchte, bis sie beide wieder auf festem Boden standen. Rutgar wartete einige Atemzüge lang und stieg erst in den Sattel, als die Hufe und seine Stiefel im groben Sand einsanken. Langsam ritt er die wenigen Schritte bis zum festgetretenen Burgweg und wartete. Er hatte seinen plötzlichen Entschluss noch nicht bedacht, aber er wusste, nein, er ahnte, welche Bedeutung er für sein Leben haben konnte.
Einen Atemzug später war er sicher. Er wollte, um jeden Preis, Chersala haben, bei ihr sein, sie an seiner Seite wissen.
Kurze Zeit später stellte sich Berenger ins Heck, legte die Unterarme auf das Schanzkleid und blickte Rutgar einige Zeitlang schweigend an. Dann grinste er. »Die schöne Grobschmiedtochter, nicht wahr, Ritterlein?«
»Auch sie«, bekannte Rutgar. »Aber vieles andere ebenso, Freund Berenger. Das alles hier«, mit dem rechten Arm beschrieb er einen Halbkreis, »ich muss es erst verstehen können. Denn so viel Töten und Sterben muss einen Sinn haben. Dazu brauche ich Zeit.« Er wusste es selbst nicht besser.
Berenger nickte und sagte: »Zeit genug wirst du haben im Winter. Ich sag dir etwas, Ritterlein ...«
»Ja? Ich höre.«
»Sicherlich finde ich dich in Drakon, bei der Langhaarigen. Ein schönes Weib, meiner Seel. Der Basileus, dein Kukupetros und du, ihr wartet auf das Große Heer. Wenn ich genug weiß, dass es sich lohnt, komme ich zu dir und erzähl, was ich weiß. Und du erzählst mir - oder wirst es aufschreiben -, was sich zwischen Helenopolis und Nikaia tut. So haben wir beide etwas davon. Beschworen?«
»Versprochen!«, rief Rutgar. »Nein, besser: Beschworen, Berenger!«
Berenger hob grüßend die Hand und winkte. Ein Waräger kam zu ihm und gab ihm einen kleinen Krug in die Hand. Berenger schielte hinein, nickte und nahm einen langen Schluck. Dann bedeutete er
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