Jerusalem
Zinken. Chersalas Augen strahlten im Schatten seiner Schultern heller als das Sonnenlicht, als sie sich unter ihm aufbäumte, leise schrie und erschlaffend ihre Fingernägel in seine Haut bohrte.
Als er wieder zu Atem gekommen war, wiederholte er: »Was sollen wir tun, Liebste?«
Sie strich den Schweiß von ihren Brüsten, blickte ihn lange an und sagte, schulterzuckend, nach einer Weile: »Ich weiß es auch nicht. Weiter bis Antiochia, von wo aus ein Schiff uns zurückbringen könnte?«
»Es wird wahrscheinlich das Klügste sein. Zurückreiten - da könnten wir uns besser selbst umbringen.«
Niemand im Heer kannte diese Stadt Antiochia, die Große, die als der Schlüssel zum Heiligen Land galt, außer Gerüchten und vagen Schilderungen, die nichts Genaues über ihre Stärke und ihre Bedeutung aussagten. Zwischen Antiochia und Ikonion lagen andere fremde Städte - Herakleia oder Kaisareia -, unbekannte Straßen und Gebirge, Dörfer und ungeahnte Gefahren. Die Seldschuken und ihr Sultan samt der Heere der Emire waren zwar geschlagen, aber nicht vernichtet, und sie warteten nur darauf, die Fremden erneut anzugreifen. Doch zwischen Ikonion und Nikaia lagen mehr als vierzig Tage und Nächte Wegs. Nicht nur Säuglinge, Kinder, Frauen und Alte waren auf diesem Weg elend gestorben, sondern auch junge Männer und rüstige Pilger und Ritter. Und viele der schier unersetzlichen Reitpferde. Diesen Weg allein zurückzureiten wäre gefährlicher, als mit dem Heer weiterzuziehen.
Rutgar schlug träge nach einer Wespe oder Biene und sagte: »Klug oder in blinder Gefolgschaft - wir müssen mit dem Heer weiter. Nach Herakleia, der nächsten Stadt.«
»Wie viele Tage werden wir reiten müssen?«
»Zehn, sagt Berenger. Oder ein Dutzend.«
Von den Stadtbewohnern hatten Tatikios und seine Reiter erfahren können, dass der Emir Hassan und der Danischmend Ghazi ein gemeinsames Heer befehligten. Es war, sagten die Einheimischen, kein Heer des Sultans, sondern eines, das die Truppen des Basileus von Herakleia abhalten sollte. Der Kaiser zu Konstantinopel sollte nicht bis zu den seldschukischen Besitzungen in Kappadokien vordringen dürfen, und die Emire hielten das Christenheer für Söldner des Kaisers, was in gewisser Weise ja auch zutraf.
»Und vor der Stadt greifen uns die Seldschuken an, nicht wahr?«, sagte Chersala und teilte ihr Haar in einzelne Strähnen, die noch zu kurz waren, um einen Zopf flechten zu können.
Rutgar nickte. »Oder unser Heer führt den ersten Schlag.«
Die Ungewissheit war größer als je zuvor. Der schnelle Wechsel zwischen äußerster Entbehrung, gewaltigen Anstrengungen und völligem Nichtstun in der Ruhe einer fremdartigen Umgebung verwirrte Menschen und Tiere. Die wirklich Frommen schöpften Zusammenhalt und Zuversicht aus den Worten der Geistlichen; Rutgar und Berenger und die meisten Söldner aus Tatikios' Truppe dachten mehr an sich selbst und ihr Überleben.
Chersala ging zum Bach, tauchte halb ins Wasser und begann sich zu waschen. Rutgar sah ihr zu, folgte ihr dann und nahm die Tücher und den kleinen Ölkrug mit. Aber auch Stunden später, beim Essen im Lager, nistete noch die Erschöpfung in ihren Körpern.
Die Obstgärten, die sich im Tal hinter der verlassenen Stadt ausbreiteten, hatten den ersten Hunger der Pilger gestillt. Die Menschen lagerten und schliefen im Schatten unter leer gepflückten Zweigen. Alle Toten und alle Mühen schienen vergessen, so, als hätten sie nie stattgefunden. Leinwände, Spannseile und Stangen von General Tatikios' Zelten hatten durch die Unbillen der Gewaltmärsche ebenso gelitten wie alles andere. Brandspuren, große Flicken auf den abgewetzten Stoffwänden, Knoten in den Seilen und angebrochene Stangen erzählten von den Mühen vieler hastiger Lager und überstürzter Aufbrüche.
Als Jean-Rutgar an Berengers Seite über das abgeweidete Gras zum Zelt ging und die eigenen Wachen, die Kriegsknechte der Franken und jene Fürsten sah, die um die aufgeschlagenen Tische auf ihren Scherenstühlen saßen, fasste eine kalte Faust sein Herz und schien dessen Schlag aufhalten zu wollen. Es gab kein Entkommen. Weder für ihn noch Chersala, für Berenger ebenso wenig wie für Tatikios oder einen der Fürsten. Niemand konnte zurück; die vielleicht fünfzigtausend Überlebenden der Kämpfe und Strapazen strebten auf unbekannten Wegen nach Jerusalem. In diese Falle war er selbst hineingetappt; niemand sonst hatte Schuld daran.
Wenige Schritte vor dem Zelt, das
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