Jerusalem
zwischen Apfelbäumen stand, hielt Berenger an, packte Rutgar an der Schulter und sagte: »Hast du Bauchgrimmen? Oder frisst der Gewissenswurm an deiner Leber, Ritterlein? Dein Gesicht ... als hättest du Salz gefressen.«
»Mir liegt Schlimmeres im Magen«, antwortete Rutgar leise. »Ich glaube, dass bald die nackte Angst mit mir reiten wird. Ich hab zu viel gesehen in diesen Tagen und Nächten.«
»Mir geht's nicht anders.« Berenger zog Rutgar in den Schatten und winkte einem Unterführer. »Keinem von uns. Das ist der Preis, den wir zahlen müssen, wenn wir erwachsen werden.«
»Bevor ich ein erfahrener Mann bin«, schloss Rutgar, »haben mich Straße, Durst und Seldschuken umgebracht.«
»Wart's ab. Es stirbt sich leicht, aber so schnell stirbt es sich nicht. Denk an die silbernen Straßen und goldenen Teller, die euch der zottige Einsiedel versprochen hat, und an die Beute, die du mit dir herumschleppst.«
Rutgar zerkaute einen Fluch und blieb am Rand des freigeräumten Kreises um die Zelte stehen. Die meisten Fürsten saßen da, tranken und warteten auf den General; langsamer Hufschlag auf weichem Boden näherte sich.
Hugo von Vermandois und Gottfried von Bouillon unterhielten sich leise, ihre Schreiber hatten Pergamente ausgebreitet. Gottfried hatte sein Bein, von der Hüfte bis zu den nackten Zehen in dicke Verbände gewickelt, auf einen Hocker gebettet. Bei jedem dritten Wort verzog er schmerzerfüllt sein breites Gesicht. Neben den Schreibern saßen Gottfrieds Brüder Eustachius und Balduin, ihnen zur Seite hatten Stephan von Blois und Robert II. von Flandern Platz genommen. Die linke Wange Roberts von der Normandie war geschwollen; unablässig stocherte er mit der Zunge nach einem schwärenden Zahn oder einer Fistel.
Der General, der tagelang die Berichte seiner Späher, der wegekundigen Führer und der ansässigen Bevölkerung angehört hatte, hatte die Fürsten und deren Übersetzer zu sich bitten lassen; zu dem Treffen waren auch, neben anderen Späherreitern, Berenger und Rutgar herbeibefohlen worden; als Zuschauer, mehr noch als Zuhörer, die Gesprächsfetzen aufschnappen mochten, die den scharfen Ohren des Generals und seines Schreibers entgangen sein konnten.
Die Tische, an denen sich die Fürsten versammelten, waren reich gedeckt, aus der Stadt hatte man genügend guten Wein herbeigeschafft.
Man schrieb heute den 17. Tag im Erntemond. Tatikios saß, mit kurzgeschnittenem Haar, in luftige Gewänder gekleidet und mit duftendem, scharf ausrasiertem Bart, in seinem Scherensessel und stand auf, als Bohemund von Tarent ins Halbdunkel des Zeltes geführt wurde.
»Wir sollten heute bei gutem Wein und einer kräftigen Mahlzeit über den bisherigen Weg und den künftigen Zug reden, Fürst Bohemund«, sagte Tatikios. Sein Schreiber übersetzte. »Wir haben von Nikaia aus sechs Wochen nach Ikonion gebraucht, sechs Wochen für magere einhundertfünfzig Meilen.«
Die Versammelten nickten beifällig. Bohemunds mächtige Gestalt schien von den höllischen Strapazen in keiner Weise gezeichnet zu sein. Er strahlte unverändert Kraft und Entschlossenheit aus. Tatikios richtete den Blick auf den näher kommenden Tancred und fuhr fort:
»Die armenischen Christen lassen Euch allen danken, dass weder Stadt noch das umliegende Land verwüstet wurden. Wir sind durch Ländereien gewandert, die seit zwanzig Jahren nichts anderes kennen als Krieg und Verarmung.«
Bohemund hob die Schultern, legte die Hand auf den Griff seines Schwertes und antwortete: »Wir sind gekommen, um die Sarazenen zu vertreiben. Die Leute, die hier wohnen, sollen ihre Furcht verlieren. Mir ist zu Ohren gekommen, dass man uns Undankbarkeit vorwirft und dass wir zügellos wären.«
»Es sind einzelne Stimmen«, wich Tatikios aus. »Darüber reden wir später. Setzt Euch zu uns, Fürst Bohemund.«
Bohemund ließ sich in einen knarrenden Sessel fallen und griff nach dem Weinbecher. Als Nächster stieg Bohemunds Neffe Tancred aus dem Sattel, ein Trauerband für seinen gefallenen Bruder Wilhelm am Arm. Rutgar und Berenger standen unter einer hochgeklappten Zeltwand und sahen schweigend der zögerlichen Zusammenkunft zu. Flink und leise bedienten Tatikios' junge Knechte die fränkischen Edlen. Raimund von Saint-Gilles, eine samtene Klappe über der leeren Augenhöhle, das Gesicht hinter dem Bart unter der Bräune weiß wie Schnee, sah aus wie ein mühsam Genesender, der Gott näher gewesen war als jemals zuvor.
»Seid gegrüßt«, sagte
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