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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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mag groß sein. Vielleicht wird mein Traum nie wahr«, antwortete Rutgar ruhig. »Aber meine Klingen sind schnell. Und scharf, meiner Seel'.«
    Sie lugten weiter durch den Türspalt. Die anderen Ritter und ihr Gefolge waren kaum besser: Reinhold von Breis, Gottfried Burel und Walter von Breteuil, die an anderen Orten und entlang anderer Wege Pilger sammelten, so wie Wilhelm der Zimmermann, der Sohn des Vicomte de Melun, der riesenhafte Axtkämpfer aus Hugos des Großen Stamm, von dem man sagte, er habe bei der Verteidigung des spanischen Toledo mit seiner schweren Kampfaxt furchtbare Bluternte unter den Angreifern gehalten. Dazu Wilhelms langbärtiger Vater Dietmar mit den gelben Augen, der Kaplan des Gottfried von Bouillon, der »Bruder des Jähzorns«; beide waren rotbärtig und feuerhaarig. Und andere, Schlimmere, Gottlose. Neidhart schüttelte sich und trat einen Schritt vor, um Peter besser verstehen zu können.
    »Gott kennt euch, er kennt die Seinen!«, rief der Prediger. »Gott will, dass wir in Köln in fröhlichen Gebeten das Osterfest feiern, wir, die Pilger, und die gottesfürchtigen Bewohner. Verteilt euch also, stellt die Zelte auf, kauft Essen und erholt euch vom langen Weg. Bereitet euch in Ruhe vor, denn der Weg, der vor uns liegt, wird lang und mühevoll sein.«
    »Welch ein entsetzlicher Haufe!«
    Neidhart sah mit steigendem Grimm zu, wie sich die Unterführer und Stellvertreter um den »kleinen Peter« versammelten; sie suchten seinen Rat, und was er vorschlug oder anordnete, wurde befolgt, als wäre es göttliches Gebot. Peter winkte, deutete hierhin und dorthin, redete mit Marktaufsehern und Stadtbütteln, und überaus langsam und ebenso ruhig begann sich der Platz zu leeren.
    Neidhart wartete geduldig. Seine Finger spielten mit der Kordel des Zingulums. Geduld hatte er gelernt; geduldig hatten er und die Stadtoberen Kölns den Eremiten Peter erwartet. Die Einwohner der Stadt mochten fünfzigtausend zählen, hinzu kamen einige Tausend aus dem Umland, und mit fünfzehntausend Durstigen, Hungrigen, Müden, Kranken und vom Schicksal bitterer Armut Geschlagenen zusätzlich ertrank die Stadt an diesem Osterfest in einem Meer von Menschen.
    In Trier, war zu erfahren gewesen, vor wenigen Tagen, hatten reiche Geschenke und Lebensmittel der jüdischen Gemeinde Peters armselige Pilger vor dem Hunger gerettet; denn er wies einen Empfehlungsbrief der französischen Juden vor. Jetzt kostete es viel Geld und noch mehr Geduld von Seiten der Christen Kölns. Als auf dem Platz nur noch Bauern, Händler und Kölner Bürger zu sehen war, nickte Neidhart Jean-Rutgar zu.
    »Wir haben sie erwartet, wenn wir auch nie geglaubt haben, dass es so viele sein würden. Jetzt haben wir sie im Genick. Gehen wir - es gibt einiges zu bereden.«
    Rutgar war als Gast der Augustiner gut behandelt worden. Man hatte ihm selbst seine malträtierten Stiefel neu besohlt und die Nähte ausgebessert. Sein Entschluss, mit dem Eremiten nach Konstantinopel zu wandern, stand noch nicht so fest, wie er es Neidhart hatte glauben lassen. Aber er würde Köln verlassen, so wie er Cluny verlassen hatte, mit einigen Silbermünzen, in die Kleidung eingenäht, und mit der ledernen Tasche voll mit leeren Pergamenten minderer Güte.
    Neidhart schloss leise das Portal, ging zum Altar und raffte die Kukulle, bevor er im Licht einiger Dutzend Kerzen auf dem kalten Stein neben Rutgar zum Gebet niederkniete.
    Vor zwei Jahren, während des andauernden, die Ernten vernichtenden Hagels, der Sturmfluten und der Überschwemmungen, der menschenmordenden Seuchenzüge, und vor einem Jahr, als Dürre und Hungersnöte wie Vorboten biblischer Plagen über dem Frankenland ausgeschüttet wurden, und als im vorigen Christmond und im folgenden Hartung die ersten grellen Lichtzeichen am Nachthimmel selbst ihn und seine Mitbrüder zu Tode erschreckten, hatte er inbrünstig zu Gott und den Heiligen gebetet. Aber die Heiligen und Gott hatten geschwiegen.
    Der Papst hingegen hatte geredet, zur Pilgerschaft aufgerufen, und Gott wollte es so. Neidhart betete murmelnd für die Wiederauferstehung des Herrn im Osterfest, betete für die Stadt, für den Papst und um Frieden, und er schloss auch Jean-Rutgar und selbst den Eremiten Peter und dessen schwärende Horden in seine Gebete ein. Mit den Fünfzehntausend und den anderen Heeren der Jerusalem-Pilger, die sich zusammenfanden und kaum weniger Köpfe zählen mochten, würden Unzählige mitziehen, zu Fuß, zu Pferde oder auf dem

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