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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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eine Handvoll bewaffneter Berittener mehr als sein rotgesichtiger Oheim.
    Die Gasse vor Peter endete an den Stufen der Kirche, deren Portal halb geöffnet war. Der Mönch rutschte vom Eselsrücken, rülpste in den Kuttenärmel und stieg bis zur obersten Stufe. Seit Langem ging er barfuß; er fühlte weder Nässe noch Kälte oder Schmutz unter den grindigen Sohlen. Langsam glitten seine Blicke unter dem Kapuzenrand über den Markt, über die Köpfe der Menschenmenge, bis zu den Gassen, die in den Platz mündeten. Dort zügelten Walter von Possys Neffen Simon und Matthäus ihre Pferde. Der älteste Neffe trug den gleichen Namen wie sein Oheim, was nicht selten zu Verwechslungen führte: Der junge Sans-Avoir, Peters treuester Anhänger, bedeutete seinem bunten Gefolge, stehen zu bleiben, und schwang sich aus dem Sattel.
    Peter breitete die Arme aus und hob sie mitsamt dem großen hölzernen Kreuz empor, bis die Ärmel der Kutte zu den Achseln rutschten und bräunliche Haut entblößten, und wartete sieben Atemzüge lang. Danach redete niemand mehr auf dem Platz, nur Marktgeräusche und einige stinkende Darmwinde purrten von den Hauswänden wider.
    »Euer Jubel gilt nicht mir!«, rief Peter und zwang die Zuhörer unter seinen Blick. Der nasse Saum der Gugel glitt in seinen Nacken. »Nicht Peter dem Eremiten, nicht mir, dem armen Peter. Ihr preist Gott den Herrn, der zu Jerusalem gekreuzigt wurde. Sein heiliges Grab müssen wir aus den Händen der Ungläubigen befreien! So sprach der Stellvertreter Jesu Christi, unser aller Papst Urban der Zweite!«
    Alle Augen richteten sich auf ihn. Seine Stimme, die seherischen Augen und seine Worte hatten die Menge schon nach wenigen Sätzen in Bann geschlagen. Seit den ersten Tagen, an denen er für den Kreuzzug gepredigt hatte, flüchteten sich die Menschen in die Sicherheit seiner Beschwörungen und Prophezeiungen, verkauften ihre letzte Habe und sagten sich von ihren Herren und allen Zwängen los.
    »Seit November, dem Schlachtmond, in Clermont, das ist in Frankreich, als der Papst sprach: ›Gott will es!‹, geht das Wort um in der Christenheit. Gott will, dass ich und ihr alle ins Heilige Land aufbrechen und Jerusalem die Goldene befreien. Ich war in der Goldenen Stadt, und ich sage euch: Unsere Glaubensbrüder erleiden große Unbill, Stunde um Stunde! Der Himmel hat uns Zeichen gegeben, wie ihr wohl wisst: Große Hungersnöte im vorigen Jahr! Seuchen und Überschwemmungen im Jahr zuvor. Schwarze Körner im Getreide, die alle Menschen um den Verstand bringen! Und die brennenden und leuchtenden Himmelszeichen nachts, jetzt, im Ostermond! Es sind Zeichen Gottes! Tut Buße, sagt der Herr, verrichtet gute Werke! Unser aller Sünden werden wir ledig, wenn wir zum Grab Christi pilgern! Ich habe in der Grafschaft Berry gepredigt, und viel Volk hat sich dazu versammelt. Im Hornung und im Lenzmond haben sich mir Gläubige aus dem Land um Orléans angeschlossen und aus der Champagne und Lothringen, und aus den Städten entlang der Maas rissen sie sich los, und auch aus Aachen folgten sie mir, und nun seht ihr sie, die stolz und demütig zugleich ihre Kreuze an der Schulter tragen: dort, bei den Führern meines Heeres! Gott will es so. Deus lo vult!«
    Der tief hängende Himmel riss auf; zwischen weiß geränderten Wolken leuchtete die Mittagssonne auf die Stadt. Die Dächer und der Platz begannen zu dampfen. Die Anführer des waffenlosen Heeres ritten langsam durch das Marktgewirr oder führten ihre Pferde am Zügel zur Kirchentreppe.
    Peter schien größer zu werden und strahlte die Sicherheit eines göttlichen Auftrags aus. Er schwieg, hob das Kreuz und deutete mit dem linken Arm auf die Ritter in den Sätteln und die waffentragenden Knappen. Reinhold von Breis, Gottfried Burel und Walter von Breteuil waren unter ihnen, und Peters Stellvertreter Gottschalk, Volkmar und Frater Orel. In den Straßen Kölns und im Umland warteten fünfzehntausend Menschen auf Nahrung und Quartier. Hier in der Domstadt, wo nur eine Gierseilfähre über den Rhein nach Osten führte, war der große Heerwurm erst einmal zum Stehen gekommen.
    Peters Stimme trug weithin. Er hämmerte seine Worte wie die Nägel des Heiligen Kreuzes in die Seelen der Menschen. Ehe Christus wiederkehren könne, müsse die Terra Sancta , das Heilige Land, für den Christenglauben zurückerobert werden. Atemlos lauschte die unruhige Menschenmenge dem kleinwüchsigen Prediger, der sich nur von Fisch und Wein ernährte:
    »Verkauft

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