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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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das Wort Gottes: Wer ihn sah, hörte oder seinen Anordnungen folgte, war sicher, dass er durch Peter in der Gnade des Herrn stand; wenigstens einige tiefe Atemzüge lang.
    Und der kleine Einsiedler predigte. Er redete mit Engelszungen, die Arme hoch erhoben, wo er ging, ritt und stand. Von Milch und Honig sprach er, von silbernen Straßen im Heiligen Land, vom goldenen Jerusalem und dem Grab des Herrn, von der beschwerlichen Reise, die er vor etlichen Jahren auf sich genommen hatte, und davon, dass jedem, der ihm folgte, alle Sünden vergeben und die Buße erlassen sei, dass sein Pilgerzug die edlen Herrn zu Pferde brauchte, die Ritter in schimmernder Wehr mit dem Zeichen des Kreuzes; indes schienen es die meisten abseits des niederen Adels vorzuziehen, sich ihresgleichen anzuschließen und als Teilnehmer eines wahren Ritterheeres wider die Ungläubigen zu ziehen.
    Es waren aber auch einfache, gläubige Menschen, Leibeigene oder Freie, die Klein-Peter aus der Picardie folgen wollten: Pilger, die ruhig und ohne verzehrende innere Glut die Landschaften, Stätten und Orte beschreiten wollten, in denen einst Jesus Christus gelebt und gewirkt hatte und gestorben war.
    Die reichen Zünfte Kölns und deren plötzlich fromm gewordene Handwerker spendeten Zelte, Seile, Gürtel, Messer, Dolche, Werkzeuge und Karren. In der eisenbeschlagenen Truhe, die auf einem zweirädrigen Karren festgeschmiedet wurde, klirrten und klimperten über dem Silber der Juden die Geldspenden der gläubigen Kölner; lieber ein wenig ärmer, sagten sich manche, die pralle Münzbeutel daherbrachten, als noch länger dieser Belagerung ausgesetzt zu sein! Aber es gab auch andere Spender, die sich von der Kraft ihres Glaubens nährten und wussten, zumindest ahnten, dass es ebenso gnadenreich war, Jerusalem im Herzen zu haben, wie auf dessen angeblich unbezwingbaren Mauern zu wandeln.
    Noch bevor Peter seinen Esel bestieg, der nach wenigen Tagen wohlgenährt, gestriegelt und frisch gezäumt war, unterlag Walter Sans-Avoir seiner Unruhe und brach, wohlversehen mit Peters Segen, reichlichem Proviant und etlichen Wegekundigen, am Dienstag nach Ostern von Köln nach Ungarn auf. Selbst ein einbeiniger Köhlerknabe, der sich Dilgen nannte und wirre Reden führte, schloss sich ihm an.
    Peter hatte Graf Walters beträchtliches Gefolge nicht zwischen seine Pilger eingliedern wollen; die vielen Menschen zu verpflegen und im Zaum zu halten überstieg sein Können ebenso wie sein Wollen. Walters Ausrüstung bestand aus kühnem Gottvertrauen, einem Dutzend armer Priester, drei oder vier schwindsüchtigen Rittern, wenigen Gepäckwagen und erstaunlich vielen Münzen in der Schatztruhe; die kampfunerfahrenen Bauern und Handwerker trugen Lanzen und alte, bis zum Silberglanz geschliffene Schwerter und Äxte sowie Spieße, Streitkolben, Flegel oder Morgensterne. Hinter Walter »Habenichts« im Sattel seines schwarzen Hengstes zogen kaum weniger als fünftausend Gläubige rheinaufwärts, wie manche Bürger der geplagten Stadt gezählt haben wollten.
 
    Zehn Tage, nachdem sein fünfzehntausendköpfiger Heerhaufen Köln überschwemmt hatte, nach dem Sonntag Domenica in albis, zog auch Peter der Eremit mit den verbliebenen Zehntausend aus der Stadt, auf der Straße, die jedermann befuhr und bewanderte, der rheinaufwärts über Bonn, vorbei an Andernach, Koblenz, Boppard und Bingen nach Mainz und zum Neckar wollte. Aus Köln, das sich binnen Stunden wie ein löchriger Kornsack leerte, und aus den Dörfern und Städtchen der Umgebung folgten weitere fünftausend, die sein Heer wieder auf seine vorherige Stärke brachten.
    An der Spitze des gewaltigen Zuges ritt Peter auf dem Esel. Archambaud von Vendeuille, Waffenmeister Gottfried von Bouillons, und seine Ritter folgten im Sattel, dahinter trotteten die Saumtiere, und die Vorräte, selbst die Schatztruhe, wurden in wenigen knarrenden Wagen mitgeführt. Obwohl jeder Pilger zu Fuß wanderte und sein Bündel selbst schleppte, legte der Zug selbst an einem mittelmäßigen Tag zwanzig, fünfundzwanzig Meilen zurück.
    Wanderer, Kaufleute, Reisende oder Boten, auch die Besatzungen der Schiffe, die rheinabwärts unterwegs waren, staunten, erschraken oder glaubten, im Norden sei eine neue Seuche ausgebrochen - seit Menschengedenken hatte man einen solchen Menschenwurm nicht gesehen und erlebt.
    Eine graue und erdfarbene Schlange mit zahllosen Köpfen und Füßen, die sich zehn Meilen lang und länger durch die Flussaue wand, füllte die

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