Jerusalem
Hausmauern und dem Geäst der Bäume in den Himmel. »Morgen, übermorgen werden Tafuren und andere Christen hier einziehen.«
»Und wir reiten morgen zurück«, bestimmte Berenger laut. »Der Entschluss, am 1. Tag im Windmond nach Jerusalem aufzubrechen, steht angeblich längst fest.«
Sie beendeten den Streifzug durch die kleine Stadt, in deren Mauern nur fränkische Bewaffnete und Geistliche zu sehen waren. Dutzende Kriegsknechte schliefen und schnarchten auf Strohbündeln und geraubten Decken. Andere beluden Karren mit Beute. Die Gesänge in der Moschee hatten aufgehört.
Berenger drehte sich herum, warf einen langen Blick in das Gewimmel auf der breiten, von Säulen und Torbögen gesäumten Torgasse und sagte: »Kampflos eine Stadt und Proviant für Tausende übernommen. Ein Geschenk für den Herrn von Saint-Gilles. Damit haben wir nichts zu tun. Wir sollten einige Stunden schlafen.«
Schweigend gingen sie das kurze Stück zum Bauernhof zurück.
»Ich mache die erste Runde.« Rutgar schob Berenger und Thybold zum Haustor und sah sich um. Im schwachen Schein der Lagerfeuer und eines Dutzends blakender Fackeln sah er, dass die Pferde versorgt waren und mit hängenden Köpfen im halb offenen Stall und innerhalb des unzerstörten Zauns standen. Die Sättel und die Lanzen lagen und standen unter dem Vordach, ein Dutzend Kundschafter schnarchte, in ihre Mäntel eingewickelt, auf Strohbündeln. Rutgar schlug die Kapuze des Kettenhemdes in den Nacken, suchte einige Fackeln aus den Saumtiertaschen und begann seinen ersten Rundgang.
Die Gebäude und Scheunen waren fast leer gewesen, ausgeplündert. Dennoch war für die Kundschafter genügend Proviant übriggeblieben, um sie wenigstens für eine Nacht satt zu machen. Nachtwolken trieben vor der fadendünnen Mondsichel und lösten sich in der Finsternis auf. Zahllose Spuren sah Rutgar, als er die Gebäude umkreiste; keine von ihnen, die nicht von Gewalt, Zerstörung und Willkür sprach. Alle Sinne geschärft, die knisternde Fackel in der Linken, setzte er Fuß vor Fuß. Die Stille, die Sterne über ihm und der schwache Saum der Helligkeit, die aus dem offenen Stadttor und über den Zinnen der Mauern waberte, weckte abermals einen Reigen verzweifelter Gedanken.
Bis sich der Kreis schloss, dessen Rund er mit Chersala und Thybold kämpfend durchmaß, würden sie in die weitaus gefahrvollere Eroberung der Heiligen Stadt eingebunden werden. Überlebten sie diese Schlacht, konnten sie, reich und kampfesmüde, nach Les-Baux zurückkehren, und ihre Träume würden wahr werden.
Die anderen Wachen bestätigten, dass nichts Ungewöhnliches vorgefallen war. Als Rutgar sicher war, dass diese Nacht ruhig bleiben würde, übergab er die Fackel und suchte sich einen stillen Winkel zum Schlafen.
Die Nachricht von der Einnahme Albaras war den Rückkehrern vorausgeeilt. Raimund hatte den größeren Teil seiner Truppen in der Stadt zurückgelassen. Der schwerbeladene Rest und der Tross trieben wie ein träger Fluss zurück nach Antiochia. Von allen Seiten bahnten sich kleine und große Gruppen syrischer und armenischer Christen ihren Weg zur Straße und warteten, bis Raimunds Männer, die aneinandergeketteten Sklaven und die Karren mit ächzenden Rädern vorbeigezogen waren. Die Stadt Albara, in der Peter von Narbonne herrschte, den der Patriarch Johannes Oxeites von Antiochia zum Bischof weihen würde, war in aller Munde.
Berenger und Rutgar führten ihre Reiter an den Seiten des Heerhaufens zurück. Aus der Begleitung Raimunds hatte Rutgar erfahren, dass Peter von Narbonne die Hälfte der Stadt und des Umlandes zur Sicherung seiner Einkünfte erhalten hatte. Bischof Adhemar wäre zuhöchst erfreut darüber gewesen, dass mitten in der muslimischen Wildnis das erste römisch-christliche Bischofstum gegründet worden war, dachte Rutgar, dessen Unruhe seit Sonnenaufgang zunahm, je mehr sie sich Rugia und Antiochia näherten. Er dachte nicht an die Versammlung der Fürsten oder an den Aufbruch, sondern nur an Chersala. Sie war unverrückbarer Teil seines Lebens und seines Traums.
Als die Kundschafter in ihre Unterkünfte einritten und die Pferde absattelten, rannte Rutgar die Treppe hinauf und rief nach Aynur. Die schwarzhaarige Sklavin erwartete ihn vor der Tür zu den gemeinsamen Zimmern.
»Wo ist die Herrin?«, rief er und stieß die Tür auf.
Aynur, schwarzhaarig und scheu, hob die Arme und sagte leise: »Es geht ihr nicht gut. Sie ist endlich eingeschlafen. Weck sie nicht
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