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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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dezimiert worden war, stürzten sich die Männer auf die Stadt.
    »Zur Seite! Wir bringen ihnen den rechten Glauben!«
    Es wird das Gleiche sein wie an so vielen anderen Orten, dachte Rutgar und hob den Zügel. Morden, Verstümmeln, Versklaven, Ausplündern ... alles im Namen des Herrn. Er beugte sich im Sattel vor und beobachtete die Reiter und die hastenden Fußsoldaten, die an ihm und Berenger vorbei auf das Stadttor vorrückten. Hinter den Mauern ertönte Geschrei, das im Poltern und Dröhnen der Angreifer unterging und im Klirren der Waffen. Die ersten Reiter galoppierten unter wehenden Fahnen durch das Stadttor. An Rutgar drängten und schoben sich die Fußsoldaten vorbei wie ein Tier aus tausend Schuppen und Gliedern.
    Er schloss die Augen, atmete tief ein und aus und ritt zu Berenger, bei dem sich die Kundschafter sammelten. Die letzten aus dem Frankenheer drängten zwischen die Torflügel.
    »Was tun, Berenger?«
    »Willst du plündern? Brauchst du Sklavinnen zum Verkaufen? Oder drängt es dich, ein paar Greise zu erschlagen?«
    »Du weißt es besser.« Rutgar löste das Kinnband des Helms. »Nichts gegen Münzen oder Geschmeide. Das Totschlagen überlasse ich denen.«
    »Wir warten bis zum Abend«, entschied Berenger. »Für uns fällt genug ab. Reiten wir zum Tor.«
    Obwohl sich die Bewohner der Stadt, in der offensichtlich keine Christen lebten, kampflos ergaben und um Gnade flehten, dauerte es bis zum Abend und an einigen Stellen der Stadt bis um Mitternacht, bis das wüste Lärmen aufhörte. Viele Bewohner wurden erschlagen, während die Geistlichen in die Moschee eindrangen und ihre Lieder und Dankgebete anstimmten. Einige konnten durch Mauerlücken und über Leitern flüchten. Die Waffenknechte trieben Kinder, Frauen und junge Männer zusammen, fesselten die Schreienden und Weinenden und sperrten sie in Gewölbe und Höfe. Am Morgen würden sie nach Antiochia in Marsch gesetzt und dort an Syrer und Armenier oder an genuesische Kaufleute als Sklaven verkauft werden.
    »Dort hinüber!«, befahl Berenger. Er und seine Reiter hatten sich einen halb verwüsteten Bauernhof als Ziel ausgesucht und dort ihre Pferde versorgt und dem schwächer werdenden Lärmen jenseits der Mauern gelauscht. Die Männer aßen und tranken vom kargen Proviant in den Satteltaschen. Einige murrten; sie fühlten sich vom Treiben in der Stadt ausgeschlossen. Berenger beschwichtigte sie, teils mit guten Worten, teils fluchend.
    Rutgar und Thybold bestimmten eine Wache, zündeten Fackeln an, ließen Helme und Schilde zurück und stapften durch das zertrampelte Gras zum Stadttor, passierten es ungehindert und schritten auf einer gepflasterten Straße durch eine albtraumhafte Folge von Hausfronten, zertrümmerten Truhen, halb verbrannten Türen, Läden oder Mänteln und undeutbarem Abfall.
    Thybold legte den Arm über Berengers Schultern und sagte: »Nur eine kleine Stadt. Wenn sie in ein paar Tagen voller Christen ist, wird sie zur befestigten Burg gegen die Seldschuken.«
    »Nichts anderes will Raimund«, knurrte Berenger. »Es ist wie eine Karawanserei für spätere Pilger. Oder goldgierige Eroberer.«
    Teile der Stadt wirkten wie ausgestorben. Im zuckenden Fackellicht und einiger Feuer auf den Plätzen hatten sich die Krieger versammelt, brieten Fleisch über der Glut und tranken lachend Wein aus Ziegenbälgen. Kriegsknechte schleppten Leichen aus den Häusern und warfen sie hinter die Mauern der Gärten. Aus Fenstern und Türen ertönten Flüche, Gelächter und das Krachen aufgesprengter Truhen und Wandfächer. Kleidungsstücke, Krüge und silbernes Geschirr, Lederballen und Hausrat lagen auf großen Haufen, in denen die Bewaffneten wühlten. Schwitzende Knechte schleppten Kornsäcke und Krüge voller Mehl aus den Häusern und stapelten sie am Gassenrand.
    »Das Gold und das Silber ist schon in den Mantelsäcken der Fürsten«, sagte Thybold missgelaunt. »Albara scheint eine reiche Stadt gewesen zu sein.«
    »Sie war die längste Zeit reich«, antwortete Berenger rau und ging weiter.
    Die Mauern und Dächer der Stadt atmeten Verzweiflung aus, und der dumpfe Gesang christlicher Lieder, der aus der Richtung der Moschee erscholl, schien Gefahren und Drohungen aus dem Halbdunkel hervorzubringen. Schreie, Schluchzen und Wimmern ertönte aus dem Inneren der Häuser, die den Platz und den Brunnen umstanden, aus dem Pferde soffen und Bedienstete Wassereimer schleppten. Rauch und der Qualm brennenden Fetts unter den Braten zogen zwischen

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