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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Zitadelle und zwei Drittel der Stadt. Raimund von Toulouse aber erhielt den Palast Yaghi-Siyans und die Aufsicht über die große Brücke. Aber keiner der Fürsten wollte nach Jerusalem aufbrechen. Die Festung Ma'arrat an-Numan lag am Weg, und man fürchtete seldschukische Überfälle auf die Heere.
    Drei Tage vor dem Ende des 11. Mondes begannen Heere der Grafen von Toulouse und Flandern die Festung zu belagern. Der erste und auch der zweite Sturmangriff, den Bohemund unterstützte, blieben vergeblich. Erst nach fünfzehn Tagen, trotz der Errichtung eines großen Belagerungsturms, der nutzlos blieb, konnten die Soldaten einen Mauerturm zum Einsturz bringen und in die Stadt eindringen. Die Bewohner wurden niedergemacht und in die Sklaverei verkauft. Der größte Teil der Beute fiel an Bohemund.
    Aber auch nach einer Beratung, die im Ort Rugia am Orontes stattfand, mochten sich die Fürsten nicht zum Aufbruch entschließen. Erst als die hungernden Pilger die Mauern von Ma'arrat an-Numan einzureißen begannen, begann die Reise nach Jerusalem.
    Graf Raimund von Toulouse, barfuß und im Pilgerhemd, führte das Heer an, während die Stadt im Rücken des Heeres niederbrannte. Peter von Narbonne, Bischof von Albara, Raimund Pilet, der Herr von Tel-Mannas, und zuletzt Robert von der Normandie und Tancreds Normannen folgten dem Barfüßer. Auch das Heer Raimunds aus Antiochia kam hinzu, aber Robert von Flandern und Gottfried von Bouillon vermochten sich noch lange nicht zu entschließen.
 
    Rutgar und Aynur hatten Chersala Tag und Nacht Becher mit Kräutersud und fette Süppchen eingeflößt, mit Honig und Salz verrührt. Jetzt schlief sie wieder und flüsterte und murmelte in schwitzigen Träumen. Thybold war mit dem Heer des Einäugigen geritten und hoffte, dass Rutgar und die Späher bald folgen würden. Durch das offene Fenster sah Rutgar einen Baum, der das meiste Laub abgeschüttelt hatte, und dahinter die Felsen und die Festungsmauer. Auf den Mauern wanderten winzige Lichter: die Fackeln der Wachen. Kühle Nachtluft ließ die Kerzenflammen flackern.
    Mit dem Hauch aus dem warmen Würzwein, der in Rutgars Nase biss, mischten sich die Ausdünstungen der Fiebernden und des Öls, mit dem die Bodenbretter versiegelt waren. Rutgar betrachtete das Geschriebene und dachte an den Benediktinermönch Odo, den Laienbruder Rasso und die Mauern der Abteikirche von Cluny. Wie hoch waren sie inzwischen gewachsen? Wie weit dehnte sich das Bauwerk aus? Erhoben sich schon die kantigen Türme? Lebte Weißbart Rasso noch und ließ sich von seinem Bruder die Briefe vorlesen?
    Ein Klopfen an der Tür unterbrach Rutgars Gedanken. Aynur trat ein, die scheue armenische Dienerin mit schulterlangem, rußschwarzem Haar. Sie trug Krüge und Becher. Rutgar nickte und deutete auf Chersala.
 
    Bohemund von Tarent war letztlich Herr von Antiochia geblieben, seinem Fürstentum. Berenger und Tatikios' Kundschafter rüsten sich zum Aufbruch. Sie werden dem Heer folgen, mit dem auch Wilhelm Ermingar Antiochia verlässt ...
 
    Rutgar hörte den leisen, erschrockenen Ausruf der Dienerin. Er ließ die Feder fallen, drehte den Kopf und sah, dass sich Chersala halb aufgerichtet hatte und den Becher mit beiden Händen umklammerte. Ihre Finger zitterten. Aynur stützte sie und flüsterte:
    »Sie ist wach, Herr. Das Fieber ...«
    Rutgar sprang auf und war mit drei Schritten an Chersalas Lager. Sie sah ihn mit großen Augen an und leerte in gierigen Schlucken den Becher, atmete schwer und sagte leise:
    »Mir ist ... so leicht, Rutgar.«
    Er legte den Arm um ihre Schultern und hielt sie fest. Der leere Becher fiel aus ihren Fingern und klapperte auf den Boden. Als Rutgar ihre Stirn und die Wangen streichelte, spürte er, dass sie kühl und trocken waren. Er fragte ungläubig:
    »Du hast es überlebt? Das Fieber, ist es fort?«
    »Ich bin so müde wie noch nie«, wisperte sie.
    Aynur hob den Becher auf und wagte ein Lächeln. »Wir müssen sie waschen und ... ein neues Laken, Herr. Eine frische Decke. Sie wird lange schlafen müssen.«
    Rutgar ließ Chersala zurücksinken. Aynur huschte hinaus. Er nahm Chersalas Hand und strich vorsichtig das schweißnasse Haar aus ihrer Stirn. Die Blässe war aus ihrem Gesicht gewichen, die Lider zitterten, die Augen fielen ihr fast zu. Sie schlief fest, als Aynur das durchgeschwitzte Laken wechselte, während Rutgar Chersala in den Armen hielt. Mit nassen Tüchern wuschen sie den mageren Körper und wickelten ihn in die frische

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