Jerusalem
Aus der Provençe, Teil des Heiligen Römischen Reiches. Einst hatte ich Freunde und eine Liebschaft dort; ich bin ein vergessener Sohn des Herrn Grafen von Les-Baux, ein Bastard von bedeutungslosem Adel. Zwar verwandt mit dem verstorbenen Markgrafen Stephane, aber ohne Titel, Recht und Besitz.«
»Wie so viele in meinem Gottesheer. Was wollt Ihr?«
»Sagt Rutgar zu mir, Ehrwürdiger.« Rutgar hob die Schultern. »Ich will mit Euch ziehen, wohin mich Gott und das Schicksal führen. Ins Heilige Land oder an einen Platz, wo es sich zu leben lohnt. Darf ich mich Euren Pilgern anschließen?«
Peter musterte den jungen Mann, der kaum älter war als zwanzig Jahre. Um seine teuren, wadenhohen Stiefel zu schonen, war Rutgar nicht in die kotigen Pfützen getreten. Seine Kleidung war sauber und kaum geflickt; er trug eine Umhängetasche, einen breiten Ledergurt mit einer kleineren Tasche, auf dem Rücken einen Ledersack und einen Gürteldolch, dessen Griff umwickelt war. Peter erkannte hoffentlich, dachte Rutgar, dass er ein ruhiger, zuverlässiger Mann zu sein schien; er wusste selbst, dass er kräftig und ein wenig schlitzohrig, aber gutmütig aussah.
Der Eremit nickte langsam.
»Ich brauche einen, der meinen Rücken schützt«, sagte er. »Und neben mir reitet. Einen Helfer, der nicht alles kann, aber von allem ein wenig. Einen ehrlichen Mann, der mich vor Gefahren warnt. Und der aufschreibt, was uns auf der Pilgerreise widerfährt.«
»Dann habt Ihr den Richtigen gefunden. Ich kann mehr als meinen Namen schreiben und ein wenig Mönchssprache lesen und reden.« Rutgar wechselte in die Sprache der Franken und legte die Hand auf die linke Brust. »Ich hab länger als ein Jahr Bresthafte und Aussätzige gepflegt. Im Kloster von Köln haben sie mir Pergament geschenkt.«
»Dann bist du in der Demut, die der Herr von uns Pilgern verlangt«, antwortete Peter der Eremit. »Komm mit uns. Der Herr beschützt unseren Weg.«
»Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.« Rutgar lächelte undeutlich.
Peter senkte den Kopf und antwortete: »So sei es. Amen.« Er zeigte auf die Bäume, die einen Weiler umstanden. »Such dir einen trockenen Schlafplatz. Wir wandern im Morgengrauen weiter. Du kannst wirklich schreiben?«
»Ohne große Mühe. Aber ich habe nichts Geschriebenes, das ich Euch zeigen ...«
»Das hat Zeit. Gott wird uns mit Tinte und Federkielen beschenken. Du wirst aufschreiben, was uns auf dem Weg begegnet, und wenn ich Briefe senden muss ...«
»... werde ich sie für Euch aufsetzen«, versicherte Rutgar.
»Dann also - komm mit. Wir sind auf dem Weg nach Ungarn.« Der Einsiedel deutete zu den Feuern und den Pferden unter den Bäumen. »Bleib bei uns, den Pilgern. Die Herren Ritter sind mitgekommen, um uns zu schützen.«
»Bis nach Ungarn?«
»Bis ins heilige Jerusalem.«
Aus der Richtung des Lagerteils, in dem die Gewappneten an blakenden, von Mückenschwärmen umtanzten Feuern zusammensaßen, ertönte lautes Gelächter.
Während der folgenden Tage, an denen sich der Pilgerzug rheinaufwärts wälzte, lernte Rutgar die Anführer und deren Vasallen kennen. Er beobachtete schweigend, während er an der Seite des Eremiten dahinwanderte, wie sich ungefähr zwanzig Tausende auf der Straße am Rhein und Neckar verteilten und auf das Ufer der Donau zuwanderten, Schritt um Schritt.
Dort teilte sich der Zug. Ein Teil der Pilger beschloss, den Strom in Schiffen abwärtszufahren und sich an der Grenze des Landes Ungarn mit den andern zu vereinigen. Die größere Zahl der Pilgerschaft, von Peter angeführt, benutzte betend, singend und fastend die Straßen entlang der Donau, südlich des Ferto-Sees, auf Ödenburg zu.
An den letzten Tagen des Weidemonds und am Anfang des Johannismonats wanderten die Pilger weiter friedlich durch Ungarn, meist auf den Wegen durch verwüstetes Land, die vor ihnen jene Tausende gezogen waren, die zu Walter Sans-Avoir gehörten. Ununterbrochen knarrten und winselten die Räder der schweren Karren, auf denen die Schatztruhe und die Vorräte der Pilger geladen waren. Steine zerkrachten unter den Felgen. Bei Karlovici vereinigte sich die größere Schar mit jenen Pilgern, die zu Schiff gefahren waren. Am 20. Tag des Johannismonds riss das Mahlen der Räder ab; der Pilgerzug hielt auf freiem Feld weit vor den Mauern Semlins an.
Jean-Rutgar, der auf Peters Bitte hin kaum von der Seite des Predigers wich, hatte sich daran gewöhnt, von den Pilgern »Peters Jünger« genannt
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