Jerusalem
Wasser. Die Wächter musterten Rutgar, die Hände an den Schwertgriffen.
»Deine Schrift ist deutlich und schön. Ich kann auch schreiben, Fremder. Wie ist dein Name?«
Er blickte in ein ovales Gesicht, mit großen dunklen Augen unter schwarzem Haar. Die Frau war kaum älter als zwölf, dreizehn Jahre und in Gewänder von erlesener Kostbarkeit gekleidet. Eine Wolke aus Wohlgerüchen umgab sie; Lichtfunken tanzten auf ihrem überreichen Schmuck.
»Jean-Rutgar aus der Provençe, einem Land, das du nicht kennst. So, wie ich euer Land nicht kenne.«
»Und - du bist der Gefährte des Eremiten? Wir nennen ihn Kukupetros, den ›Kapuzenpeter‹.«
»Ich schütze seinen Rücken, helfe ihm und bewahre ihn davor, in Gefahr zu geraten.«
»Schreibst du für Kukupetros?«
»Den einen oder anderen Brief habe ich für ihn geschrieben.«
»Und - das hier?« Sie deutete auf seine wenigen Zeilen. Ihre Finger waren schlank, mit langen Nägeln, und schienen einer viel älteren Frau zu gehören. Rutgar bewunderte drei goldene Ringe mit großen Edelsteinen, die das Sonnenlicht glühend farbig widerspiegelten. Er antwortete:
»Das schreibe ich für mich. Vielleicht, weil ich mich nicht mehr gut erinnern kann, wenn ich alt bin. Dann werde ich es lesen. Oder ein anderer.« Er zögerte. »Und wer bist du?«
»Ich wohne im Palast. Ich bin Anna Komnena und sehe und höre alles. Ich schreibe eine Chronik für meinen Vater, den Protosebastos.« Rutgar erschrak und wollte aufstehen, um sich vor ihr zu verneigen. Die schweigenden Palastwachen traten wachsam einen Schritt vor. Sie legte die ringgeschmückten Finger auf sein Handgelenk und lachte. »Bleib sitzen. Ich bin erstaunt, dass einer aus dem Haufen von eurem kleinen Petros schreiben kann. Sicherlich werdet ihr noch viel erleben auf dem Weg nach Jerusalem.«
Sie sprang auf, lachte, spritzte Wassertropfen in sein Gesicht und lief zu ihren Bewachern. Die Männer brachten sie zu einer der vielen Türen. Anna drehte sich halb um und zwinkerte Rutgar über die Schulter hinweg zu. Ihr schulterlanges Haar bewegte sich wie ein schwarzes Tuch im Wind; Jean-Rutgar empfand das Bild wie einen Stich ins Herz. Mit der gleichen Kopfbewegung hatte Ragenarda ihr Haar zur Seite gewirbelt.
Rutgar sah, dass andere Palastwächter und eine Gruppe Diener den Eremiten aus dem Thronsaal führten. Ein kleiner, weißhaariger Mann, ein anderer Übersetzer, redete auf Peter ein. Peter nickte mehrere Male und antwortete leise; es ging möglicherweise um die Geschenke, die der Kaiser Peter zu überreichen wünschte.
Wachen mit leise klirrenden Waffen, die wie Schmuck funkelten, geleiteten ihn zwischen Säulen hindurch und unter gemauerten Bögen, breiten Korridoren und duftenden Gärten voller Rosen und Wasserspiele hinaus, zusammen mit Rutgar, der silberne Sporen und ein Zaumzeug aus schwarzem Leder mit Silberstickerei geschenkt erhalten hatte. Die Reiter und die zwei Schimmel warteten am Palasttor. Die Männer stiegen auf und trabten schweigend auf einem anderen Weg zur Stadtmauer als auf dem, auf dem man sie hierhergeführt hatte.
Ein Söldner schilderte in einer Mischung aus Fränkisch und Latein, was die Fremden zu sehen bekamen. Einige Teile der Stadt gründeten ihre Mauern und Häuser auf Fundamenten, die einst zu Byzantion gehört hatten, einer Stadt der Urbewohner, die man »Alte Griechen« nannte. Sie ritten an der strahlend weißen Kirche der »Jungfrau von Blachernae« vorbei; das Kleid, der Mantel und andere Reliquien der Jungfrau Maria, Christi Mutter, wurden dort in kostbaren Schränken aufbewahrt. Innerhalb der Mauer, an der südlichen Küste entlang, zwischen riesigen Säulen mit eisernen, bronzenen und steinernen Standbildern darauf, an den hundert Gebäuden des Großen Palasts mit seinen zwanzig kleinen Kirchen entlang tänzelten die Pferde durch einen Teil der Stadt. Die rhomäischen Wachen beantworteten Rutgars Fragen; tausend Einzelheiten blendeten und verwirrten ihn. Der lange, aus hellen Quadern gemauerte Aquädukt, die breiten Straßen im Schatten alter Bäume, viele Paläste und unzählige Marmorstatuen und Triumphbögen, das riesige »Hippodrom«, ein steinerner Zirkus in der Nähe des Palasts, in dem dreißigtausend Menschen Platz fanden, Schiffe auf den Meeresarmen und die riesige, turmlose Kuppelkirche der heiligen Sophia blendeten den Wandermönch. Die gigantischen Stadtmauern, an denen er vorbeigeritten war, hielt Rutgar für unbezwingbar. Zum zweiten Mal in seinem Leben, sagte
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