Jerusalem
lächelte schmerzlich. Hier im Land der Romania-Seldschuken würde er sie ebenso wenig finden wie in Cluny, den Hafenstädten der Rhône und der schiffbaren Nebenflüssen. Oder in Jerusalem.
Er schloss einige Atemzüge lang die Augen. Er wusste, dass er älter und erfahrener wirkte, als es seine Jahre zuließen. Der Rappe tänzelte im Schritt unter ihm, die Ohren des Pferdes spielten aufgeregt. Rutgar beruhigte das Tier mit leisen Worten, klopfte sacht den Hals und richtete sich auf; im Schutz der großen Menschenmenge war er bis hierher gekommen, und ihm war, als sei nur für ihn ein Tor in eine neue Welt voll unbekannter Erlebnisse und Gefahren weit aufgestoßen worden.
Erst am frühen Abend, als sich jenseits zugewucherter Felder zwischen Büschen und Bäumen die rußbedeckten Reste von Palisaden, Lehmziegelmauern und massigen Bohlenpfeilern zeigten, kamen erste Reiterhaufen zur Straße zurück: die Männer um Rudolf von Brandis.
Peter war abgestiegen und ließ die Pilger an sich vorbeiziehen, durch ein niedergerissenes und zersplittertes Stadttor, auf durchhängende Dächer zu. Die Pilgerschar bemächtigte sich des Ortes bis hinunter zum Strand und zu den salzverkrusteten Brettern eines Hafenstegs. Als die tief stehende Sonne ihn nicht mehr blendete, erblickte Rutgar Rauchsäulen am Horizont. Die Reiter zügelten die Pferde und warteten, bis ihr Tross herangelaufen kam. Sie hatten augenscheinlich einige Esel, Maultiere und Pferde geraubt und schwer beladen. Peter blickte genauer hin; er sah, dass die Pferde mit Beute bepackt waren. Sowohl die Ritter als auch ihre Reittiere trugen Blutspritzer.
»Sie reiten in der Schar Deiner Kreuzespilger, o Herr«, murmelte er. »Und für alle Sünden, die sie begehen, haben sie Deinen Ablass aller Höllenstrafen! Es ist nicht gut, was sie tun!«
Müde und mürrisch zogen die Pilger an ihm und Rutgar vorbei. Tausende Füße erzeugten ein gleichmäßiges Geräusch. Vor drei Stunden, während eines kurzen, kühlenden Regens, hatten sie noch gesungen und gebetet. Jetzt waren sie erschöpft und hatten nur noch ihr Lager im Sinn - Ausruhen, Essen und Schlafen. Das Fußvolk hatte die bewaffneten Reiter eingeholt; jeder Mann trug schwer an seiner Beute. Den Dörflern hatten sie alles gestohlen, was sie tragen konnten, und wieder war Blut geflossen. Peter schüttelte den Kopf und stützte sich schwer auf den Hals seines Reittiers.
»Es sind keine lässlichen Sünden«, murmelte er und warf Rutgar hilflose Blicke zu. »Sie sind ungebärdig und glauben, dass überall Schätze versteckt sind.«
Die Überfallenen hatten sich gewehrt und gegen die Reiter gekämpft und verloren; die Blutspritzer bewiesen es.
»Überall und zu aller Zeit gibt es Kampf«, sagte Rutgar, mehr zu sich selbst. »Die Kirche kämpft gegen den Kaiser, dieser wiederum gegen die Türken oder Seldschuken des Sultans, die Herzöge gegen die Grafen.« Und Christen kämpfen gegen andere Christen, fügte er in Gedanken hinzu, und gegen Sarazenen, Türken, Muslime, Mohammedaner, Seldschuken - welcher Name war der richtige, in welcher Sprache? Und ein Teil des Kampfes rührte daher, weil die Pilger, Leibeigenen und Unfreien in ihrer Heimat, mit ihrer plötzlich gewonnenen Freiheit nichts anzufangen wussten. Was bedeutete diese Freiheit für die Rechtlosen, was geschah, wenn Schranken und Regeln fielen?
»Und Gott kämpft gegen den Satan«, brummte Peter der Eremit und stieg rülpsend in den Sattel.
Der Esel trug ihn vorbei an einem Mahlstrom aus einigen Tausend Gruppen, die versuchten, sich in den halb zerstörten und verfallenen Häusern einzurichten. Das Vieh weidete, fränkische Bauern mit krummen Rücken sichelten das hochgeschossene, halb verdorrte Gras ab, und Kinder rannten kreischend um einen Brunnen herum, den sie gefunden hatten und der nach einiger Zeit sauberes Wasser spendete. Hinter Peter schleppten die Ritter ihre Beute in die verwahrloste Stadt.
Als der Eremit und seine wenigen Getreuen ein Stück die zugewucherte Straße hinuntergeritten waren, sahen sie, dass drei Schiffe langsam ans Ufer und an den windschiefen Anlegesteg herangerudert wurden.
»Der Kaiser hat Wort gehalten!«, rief jemand. »Er schickt uns Essen und Wein!«
Rutgar fand abseits einer Gasse, am Rand Nikomedias, eine halb zusammengebrochene Hütte, in der er das Lager für sich und Peter aufschlug. Er versorgte mit der Hilfe einiger Jungen den Esel und seinen Rappen. Viele Pilger rannten hinunter zur Hafenbucht, um beim
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