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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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drei Tage lang. Dann geht nach Westen, das Meer zur rechten Hand. Ein paar Männer, Wegekundige, die mit Schiffen gekommen sind, warten in Civetot auf euch; sie wissen, dass ihr kommt.«
    »Ich werde sehen, was ich tun kann«, antwortete der Eremit. Rutgar kramte im Mantelsack und entzündete einige Kerzenstummel. »Aber meine Ritter sind begierig auf den Kampf und werden sich nur schwer zurückhalten lassen.«
    Steuermann Abrahil zog die kantigen Schultern hoch und kratzte sich unter der Achsel. »Sag ihnen, dass das Land von Seldschuken wimmelt. Diese Türken, es gibt hundertmal oder fünfhundertmal, tausendmal mehr als deine adligen Ritter. Sie werden euch in Stücke hauen.«
    »Das ist es, wovor ich mich fürchte«, bekannte Peter.
    Rutgar zweifelte nicht einen Atemzug lang an den Worten des Seemanns. »Wie lange bleiben eure Schiffe?«
    »Wir lichten vor dem Morgengrauen die Anker.«
    »Mit Gottes Segen.« Peter leerte den Becher und lauschte auf das Knurren seines Magens. »Nicht jeder hat die Kraft des Glaubens. Dieses Land weckt das Böse, das sich im Herzen eines jeden Menschen verbirgt.«
    »Davon versteh ich nichts.« Der Seemann warf Rutgar den leeren Becher zu. »Seht zu, dass ihr keinen Streit mit den Türken bekommt. Glaub mir - ihr zieht den Kürzeren. Haltet Frieden!«
    Peter gönnte ihm ein breites, dankbares Lächeln und segnete ihn. »Auch du ziehe in Frieden. Wir danken dem Kaiser für die Wohltaten, den Proviant und alles andere, das eure Schiffe gebracht haben. Ich werde den Pilgerscharen predigen und danach inbrünstig beten; der Ratschlag eures Herrn Basileus soll nicht ungehört verhallen.«
    Er begleitete den Seemann aus der Hausruine und durch den verwilderten Garten. Die Ziegen hatten jeden Grashalm gefressen, sämtliche Holztrümmer waren für die Feuer zusammengetragen worden. In der Gasse zwischen den Häusern, die nur drei Ellen breit war, hatte sein Esel eine Eselin besprungen und glitt keuchend und mit Schaum vor den Lefzen von ihrem Hinterteil. Der Seemann betrachtete grinsend das baumelnde Gemächt des Tieres, schlug Peter auf die Schulter und ging breitbeinig zum Platz im Mittelpunkt der Siedlung. Dort drehten sich etliche Braten über der Glut großer Feuer.
    »Was glaubst du, Rutgar?«, fragte Peter, als er zurückkehrte. Der Prediger hatte sich die goldene Bibel hervorgeholt, die ihm der Basileus geschenkt hatte, und blätterte darin, wie um Trost zu finden. »Werden sie tun, was ich von ihnen verlange?« Seine Stimme klang ein wenig verwaschen. In letzter Zeit trank er den Wein meist mit nur wenig Wasser oder gar unvermischt, wie Rutgar festgestellt hatte. Die Unsicherheit, die den Pilgerzug befallen hatte, schien auch ihm mehr und mehr zuzusetzen, obwohl er es niemals offen zugeben würde.
    Rutgar setzte sich zu ihm, holte Käse und Brot hervor. »Vielleicht zwei Drittel«, antwortete er schließlich, nach längerem Überlegen, auf die Frage. »Die Grafen und Ritter scheren sich vielleicht darum, was du von ihnen verlangst. Aber du müsstest sie verfluchen, den Bann auf sie herabbeschwören, müsstest sie mit Krätze, Aussatz und Lahmheit schlagen.«
    »Ich kann keine Wunder wirken«, bekannte Peter.
    »Das wissen wir, und die Herren Grafen wissen's auch.« Rutgar grinste, als wisse er mehr. »Daher kommt ihre rücksichtslose Vermessenheit.«
    »Geh hinaus«, sagte Peter entschlossen. Er rülpste und wischte sich die Lippen trocken. »Rufe sie zusammen. Sag ihnen, dass ich predigen werde. Sag ihnen, dass Gott mit mir gesprochen und es mir befohlen hat.«
    Rutgar wickelte die Reste von Brot und Käse in ein Tuch, verknotete es und stand auf. Nachdem er gekaut und geschluckt hatte, sagte er: »Ich gehe zu ihnen. Hier. Nimm die Fackel, verehrungswürdiger Einsiedel. Dann wird deine Rede wie eine Flamme in tiefer Nacht sein.«
 
    Rutgar hatte die Teile seiner Ausrüstung, seinen Helm und den Schild an Holzzapfen aufgehängt. Er rüstete gähnend sein Lager aus Zweigen, Stroh und trockenem Gras und warf einen langen Blick auf Peter, der in Gedanken versunken dastand und schließlich, als wandle er im Schlaf, eine Fackel anzündete und die Hütte und den Bereich der schwachen Helligkeit verließ. Die Lieder, mit denen die Abendmesse endete, wurden leiser und verhallten. Rutgar zog die Stiefel aus und versteckte sie zwischen den Resten des Dachgebälks, nachdem er die verschwitzten Lederschäfte mit Gras ausgestopft hatte
    Es war ein denkwürdiger Abend, dachte Rutgar, denn er

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