Jerusalem
kinderkopfgroße Schale mit schwarzrotem Wein gefüllt. Rutgar schob das Schwert in den Gürtel, nahm einen Schluck und blickte in die Augen des Mannes, die aus einem schreckensbleichen Gesicht hervorstachen. Brandgeruch breitete sich zugleich mit dünnem Rauch aus.
»Dank. Du auch! Versteck dich im Wald. Nachher ... schickt Boten zu den anderen Dörfern, zu den Christen. Vergrabt euren Besitz, stellt Posten auf! Bringt die Frauen und Kinder weg.«
Er leerte den Napf zur Hälfte, zeigte auf einen Wasserkessel und ließ den Trunk auffüllen. Die Frau war zum hinteren Teil des Langhauses gerannt und hatte eine schmale Tür aufgestoßen.
»Wo ist das Mehl?«
Stumm deutete der Bauer auf eine Truhe neben der Feuerstelle. Auf einem Rost verbrannten rauchend dünne Brotfladen.
»Habt ihr Münzen? Gold? Viel Salz?«
Der Bauer schüttelte den Kopf. »Nein, Herr Ritter, aber ...«
Rutgar sah zu, wie die Frau, die Kleinen auf dem Arm, sich mit aller Gewalt durch die schmale Öffnung quälte. Das junge Mädchen folgte ihr. Rutgar hob das Schwert und sagte schroff:
»Hinter ihr her! Rennt, so schnell ihr könnt. Vergiss nicht, was ich gesagt hab!«
Der Mann hob die Gabel auf, sprang zum Durchbruch und sah sich, als er im Freien war, mit seltsamem Gesichtsausdruck um. Rutgar handelte, so schnell wie er konnte. Er kippte mit einem Fußtritt das halbverbrannte Brot in die Glut, packte ein Lamm, schmetterte es auf den Tisch und rammte das Schwert durch den Hals des Tieres. Er bückte sich, riss die unterarmgroße Mehltruhe hoch, streute Mehl und Schrot ins Feuer, über den Boden und den Tisch, hustete würgend im Rauch, im Dampf und in den Mehlschwaden, zerschmetterte den Weinkrug und warf den Napf hinterher. Dann schleuderte er die Truhe in die aufzüngelnden Flammen, riss sein Schwert an sich und rannte zur Tür hinaus, gefolgt von einer mächtigen Rauchwolke.
Sein Rappe scheute und riss am Zügel. Von Rutgars Schwert tropfte Blut, der Schild war blutbesudelt als er zu seinem Rappen sprang, ihn losband und neben dem Tier auf die erste Gruppe Plünderer zurannte.
»Der Einsiedel würde mich segnen«, sagte er zu sich und verschluckte ein Grinsen. Er drehte sich um und sah, dass aus dem Dach und der Türöffnung der Hütte dichter Rauch quoll. Das Schaf und das Kalb gaben jämmerliche Laute von sich. Rutgar konnte hinter den grauen Schwaden die Familie des Bauern nicht mehr in Sicherheit rennen sehen. Er achtete darauf, dass einige Raubritter das Blut auf dem Schild und der Schwertschneide bemerkten, schob die Waffe zurück, knotete den Zügel auf und zog sich in den Sattel. Zwei Reiter galoppierten auf ihn zu. Er hob den Arm mit dem blutigen Schwert in die Höhe und brüllte:
»Sie haben nichts gehabt!« Der Lärm aus den Häusern, in denen geplündert wurde, wuchs. »Und jetzt fehlt ihnen noch mehr - ihr Leben.«
»Wir sind noch lange nicht fertig. Sie haben ein paar Frauen zusammengetrieben ... dort hinten ...«
Ein Bauernhaus hatte Feuer gefangen. Aus allen Richtungen ertönten Schreie und Flüche und raues Gelächter. Die Reiter schleppten halb gefüllte Säcke aus den Häusern, schwere Krüge und prall gefüllte Bündel. Rutgar entdeckte an den Waldrändern Männer, Frauen und Kinder, die in Gruppen und einzeln geflüchtet waren. Ein Kriegsknecht warf zwei Schafe, denen Blut aus den aufgeschnittenen Kehlen spritzte, über den Rücken eines schrill wiehernden Pferdes und schnürte die Läufe der Beutetiere zusammen.
Rutgar wusste, was die Plünderer fast in jeder Hütte fanden: Salz, Wein und Öl, Mehl oder gutes Korn und Fleisch, eingesalzen oder an der Luft getrocknet, Nüsse und getrocknete Früchte, Honig und schöne, gegerbte Felle. Und wenn die Bauern lange genug bedroht und gequält wurden, zeigten sie auch die Verstecke ihrer wenigen Münzen und des wertvollen Schmucks.
Langsam ritt er in der Mitte der Dorfstraße auf die Stelle zu, an der die Häuser dichter beieinanderstanden. In seiner Kehle würgte ein saures Brennen, das auch Wein nicht weg spülen konnte.
Kapitel XI
A.D. 1096; 21. T AG IM H ERBSTMOND (S EPTEMBER ),
F RÜHABEND
N AMENLOSES D ORF IM S ÜDEN VON C IVETOT
»Jene sind abtrünnig geworden vom Licht und kennen seinen Weg nicht und kehren nicht wieder zurück zu seiner Straße.«
(Hiob 24,13)
Zwei knebelbärtige Kriegsknechte bewachten die Pferde und ließen sie am steinernen Trog des Dorfbrunnens saufen. Ein anderer füllte die eigenen Ziegenbälge. Rutgar wandte den Kopf. Drei
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