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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Hauptstadt Nikaia längst Kunde von dem Christenheer erhalten; und ihr Herrscher Kilidsch Arslan ibn-Süleiman rüstete sein Heer, die Eindringlinge zu bekämpfen.
 
    Er brauchte kein Wort hinzuzufügen; so war es. Er ließ die Tinte trocknen und achtete darauf, das Pergamentblatt in seinem Gepäck ohne Beschädigung aufzubewahren. In Gedanken bereitete er sich auf den Ritt mit den Grafen vor. Er gehörte weder zu ihnen noch zu den Rittern. Niemand kannte in Wirklichkeit Rutgar aus Les-Baux, niemand erinnerte sich seines Vaters oder gar seiner Mutter. Innerhalb der Pilgerscharen achtete man ihn als Diener und Beschützer des heiligmäßigen Peter, und auf diese Weise, sagte sich Rutgar, kam er satt durch das Jahr und unverletzt durch einen Teil der Welt.
    Er lag ausgestreckt im Schatten, halb im Schlaf; ein paar Jungen passten auf seinen Besitz und die Waffen auf, damit sie nicht gestohlen wurden. Erst morgen im ersten Frühgrau des Tages wollten die fränkischen Raubritter, von Gottfried Burel angeführt, zum nächsten Ritt wider die Ungläubigen aufbrechen.
    Was wusste er von den Raubzügen?
    In Friedenszeiten lebten die griechischen Christen in ihren Dörfern landeinwärts, südlich der Küste des Marmarameeres, mit dem Türkenstamm der Seldschuken in guter Nachbarschaft. Deren Sultan im stark befestigten Nikaia am See sah keinen Grund, die Dörfler zu vertreiben, und er fürchtete die kaiserlichen Truppen. Sie konnten, hatten sie einmal mit Alexios' Kriegsflotte übergesetzt, binnen weniger Tage bis Nikaia vordringen. Wenn sich Sultan Kilidsch Arslan bedroht sah, dachte Rutgar, würde er jeden bekämpfen, der sich in eindeutiger Absicht der Stadt näherte, die immerhin die erste Hauptstadt des türkisch-seldschukischen Sultanats geworden war.
    Aber die Plünderer hatten bisher nur die Dörfer südlich der Uferwege überfallen, nicht mehr als einen knappen halben Tagesritt entfernt inmitten des fruchtbaren Landes. Rutgar erträumte sich wilde Bilder von Kämpfen, Rauben, Vergewaltigungen und Brandschatzung; in seinem Tagtraum vermischten sich seine Ängste mit dem Inhalt so vieler Erzählungen, die er an den Lagerfeuern gehört hatte.
    Die Wahrheit würde er nur erfahren, wenn er im Gefolge von Gottfried Burel ritt, mit dessen Raubrittern und Kriegsknechten. Seine Gedanken wühlten in seinen Erinnerungen. In den Jahren, die ihn auf der Rhône in zahlreiche Stadthäfen geführt hatten, hatte er kämpfen gelernt: Auf dem Deck des Handelsbootes, am Ufer, beim Treideln und in zahlreichen Schänken. Kämpfe mit Fäusten, Dolch und Schwert - es gab stets einen, der besser kämpfte als er und von dem er lernte, sich zu verteidigen. Ein Dutzend Männer hatte er verwundet, die Messer ebenso vieler hatten ihn getroffen, und zwei hatte er in Notwehr töten müssen. Einige Narben waren ihm geblieben, aber auch die Bilder verblutender Gegner und die Frauen, die sich zum Sieger mit den grünen Augen drängten.
    Keine Frau reichte in seiner Erinnerung auch nur von fern an Ragenarda heran, aber er nahm sie, wie sie sich darboten, lachend und leidenschaftlich, und flüchtete meist, bevor er gegen Buhlen oder Ehemänner kämpfen musste. Seit er an Peters Seite pilgerte, hatte er nur drei Frauen besessen, flüchtig, ohne Herzklopfen, denn die meisten zogen es vor, es sich im Gefolge der Ritter gut gehen zu lassen. Nur an den Namen der jungen Rothaarigen, Dorothea, in Nikomedia, erinnerte er sich.
    Und plötzlich war sein Traum blutrot, brennend, voll mit toten Leibern. Sterbende und tote Aussätzige, Tote, aufgedunsen im Wasser eines Flusses oder der Rhône, verstümmelte Juden in ihren Ghettos, ausgeblutete Erschlagene in mehr Kämpfen, als er Finger und Zehen hatte, Tote und Sterbende auf jeder Meile entlang des Heerzugs durch fremde Länder und zwischen unbekannten Toten das bleiche Traumgesicht seiner Mutter, die er nie gesehen hatte; mit unumstößlicher Sicherheit wusste er, dass sie es war. Grüne Augen, wie die seinen. Das Lächeln der nie Gekannten begleitete ihn aus dem Halbtraum der Ermattung hinein in die schweißnasse Wirklichkeit des Nachmittags, in den Lärm des Lagers, als ein Knecht zwei Dutzend Pferde an Rutgars Schlafplatz vorbeitrieb.
    Von Toten habe ich geträumt, dachte er verschwommen und richtete sich auf. Sterbende und Tote werde ich zurücklassen, wenn ich mit dem Grafen und seiner Horde reite.
 
    Zuerst drängten sich Gottfried Burel, Walter Sans-Avoir und Fulk »Foucher« von Orléans durch das schmale

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