Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
Vom Netzwerk:
weniges Gold!«, rief ein Reiter. »Sie sind nicht so reich wie die Bewohner von Konstantinopel!« Ein anderer Ritter spornte sein schäumendes Pferd und gab zurück: »Aber viel Wein, Öl und Würste.«
    Und Korn, Mehl, Salz, Decken und Kleidung aus Fellen, die im kalten Köln ein Vermögen kosten würden, dachte Rutgar und folgte den Reitern. Aufregung hatte die Männer gepackt, und aus dem Trab wurde Galopp. Sie stoben auf dem Pfad geradeaus bis zu einer Gabelung, an der zwei Pfade mündeten und sich die Straße verbreiterte. Auf den Hängen jenseits der Schlucht sah Rutgar, wie einige Dörfler schenkelhohes Korn sichelten und Garben banden. Sie schienen die Reiter nicht bemerkt zu haben.
    Die Hufe schlugen auf weichen Waldboden. Durch Schatten und Halbdunkel galoppierten die Reiter auf die ersten Hütten des Dorfes zu, die sich hinter den Baumstämmen zeigten. Flechtzäune säumten die Straße, Rinder schrien zwischen den Häusern, und Rutgar hörte, wie Schwerter raschelnd aus den Scheiden glitten.
    »Ihr Herren!«, rief Fulk grinsend. »Nach rechts und links. Sichert die Flanken!«
    Walter Sans-Avoir und Gottfried Burel mit ihrem Gefolge galoppierten mit gezogenen Schwertern auseinander. Rutgar entschloss sich im letzten Augenblick, dem von Orléans zu folgen. Zwei Frauen waren vor der ersten Hütte stehen geblieben, starrten die Reiter entsetzt an, rannten los und begannen gellend zu schreien. Die Ritter drangen auf drei Wegen in das Dorf ein, ihre Pferde trampelten durch Gebüsch und Kräutergärten, durch gackernd aufflatternde Hühnerschwärme und zwischen Ställen und Scheunen hindurch. Die angsterfüllten Schreie setzten sich fort, Männerstimmen fluchten, Menschen rannten aus den Häusern und kehrten jählings um, als sie die Gepanzerten sahen.
    »Holt euch, was ihr braucht!«, erscholl Fulks Stimme durch den Wirrwarr. »Zeigt ihnen das Schwert, dann verstehen sie euch schon!«
    Er zügelte sein Pferd, ließ es hochsteigen und sprang aus dem Sattel. Fünf seiner Männer scharten sich um ihn und drangen in eines der größeren Häuser ein. Die anderen ritten weiter, bis zum Ende des Dorfes, rissen die Tiere herum und trieben sie auf die Türen der Hütten zu. Frauen und kreischende Kinder flüchteten durch Gärten und unter Obstbäumen zu den Weiden und zum Wald. Aus dem Inneren der Häuser kamen klirrende Geräusche, Schreie, Flüche, die Laute brechenden Holzes, dumpfes Krachen und entsetzliches Wimmern.
    Rutgar war in der Mitte der sandigen Dorfstraße zum Stehen gekommen. Plötzlich war er allein; sein Pferd keuchte. Das Dorf bestand aus nicht mehr als zwei Dutzend Hütten, weit auseinanderstehend, durch Baumreihen und niedrige Zäune voneinander getrennt. Die Türen einiger Häuser waren zerborsten und hingen schief oder lagen in Trümmern auf dem Boden. Er ritt zur nächsten Hütte, stieg ab, band den Rappen quer vor der windschiefen Tür fest, zog das Schwert und schob den Unterarm durch die Griffe des Schildes. Dann machte er vier schnelle Sprünge zum Eingang; es war eines der kleineren Häuser.
    Der Garten vor dem Haus war noch nicht zertrampelt. Aus der Dachöffnung kräuselte dünner Rauch in die Höhe. Im nächsten Haus klirrten zerberstende Krüge, und Kinder schrien. Rutgar öffnete die Tür, stieß sie mit der Schwertspitze vollends auf und wartete, bis sich seine Augen ans Halbdunkel gewöhnt hatten. Er machte zwei Schritte und riss den Schild hoch, als er vor sich einen bärtigen, halbnackten Mann sah, der eine Gabel mit eisernen Zinken auf ihn richtete.
    Rutgar senkte das Schwert und sagte: »Keine Angst. Gebt mir Wein. Tut so, als fürchtet ihr euch vor mir.«
    Das Innere des Hauses war ärmlich, aber es blitzte vor Sauberkeit. Matten aus geflochtenem buntem Gras bedeckten den bräunlichen Lehmboden. Die Bewohner trugen helle Kleider; durch kleine Öffnungen des Daches fiel Sonnenlicht in den Wohnraum. Zwei Kälbchen und, neben einem Mutterschaf, zwei neugeborene Lämmer bewegten sich im Hintergrund der Hütte. Hinter einem Tisch drängten sich eine junge Frau, ein Mädchen und zwei Drei- oder Vierjährige. Rutgars Befehl war überflüssig gewesen; sie fürchteten sich und starrten ihn wie gelähmt an, sprachlos und voller Unverständnis. Rutgar zeigte mit dem Schwert auf die Frau und sagte drängend:
    »Nimm deine Kinder, Frau, und renn hinüber zur Schlucht. Versteckt euch! Die anderen werden in wenigen Augenblicken hier sein.«
    Mit zitternden Fingern hatte der Mann eine

Weitere Kostenlose Bücher