Jerusalem
Südtor der Festung. Ihnen folgten nacheinander vielleicht siebzig, achtzig Bewaffnete zu Pferde. Einer der Letzten war Jean-Rutgar. Er trug zum ersten Mal alle Waffen: Das fränkische Koller, das er immer wieder geputzt hatte und das ihm bis zum Knie reichte, schimmerte rötlich im Morgenlicht. Die Schwertscheide, die Gurte und der Dolch glänzten von Fett. Der Helm mit dem Nackenschutz aus Eisenplättchen schlug leise klirrend an den Sattelknauf, an dem links der Rundschild eines toten Petschenegen hing. Rutgar hatte das Leder grün gefärbt und eingeölt.
Die Reiter trabten durch die Lager vor dem südlichen Eingang, in denen noch fast jeder schlief. Rutgar stand in den Steigbügeln, alle seine Sinne waren geschärft. Aus einigen Unterschlupfen aus Grasmatten, dürrem Laub und Astgeflecht hörte er trunkenes Lachen von Frauen und Männern, es roch nach kaltem Rauch. Die Pferdehufe schlugen dumpfe Wirbel auf dem Grasboden, als die Reiter zur Straße hinausritten, sie überquerten und hintereinander auf einem Weg, nicht breiter als ein Ziegenpfad, zum Waldrand an der Schlucht trabten. Die Anzahl der Pferde, die überall dort weideten, wo sich Gras ausbreitete, von Tautropfen benetzt, schien auf wunderbare Weise zugenommen zu haben; allein vor den Palisaden waren es kaum weniger als tausend. Sie hatten im weiten Umkreis alles kahl gefressen. Rutgar senkte den Blick auf den Pfad; die Grafen, sagte er sich, wussten genau, wohin sie reiten mussten.
Fulk von Orléans trabte in der nächsten Stunde entweder an der Spitze oder neben Gottfried Burel. Die Reiter schonten ihre schweren Streitrosse, waren nicht laut und schauten sich wachsam um.
Rutgar merkte sich, so gut er es vermochte, jede Einzelheit des Landstrichs, den sie rasch, aber ohne zu hetzen, in Hitze und Staub durchquerten. Plötzlich war er sicher, dass irgendjemand gut versteckt neben ihnen ritt und sie scharf beobachtete. In diesem Landstrich schlängelten und kreuzten sich, wie in der Provençe, viele Tierpfade und verborgene Wege.
Aus flachem Uferland erwuchsen im Süden kantige Hügel, deren Täler schmaler und tiefer wurden, von Wald und hartblättrigem, dornigen Gestrüpp bedeckt, aus Rissen und Schluchten, entlang deren Ränder sich zwischen nacktem Fels und Wald die Wege hinzogen. Rutgar sah Wasserläufe in der Tiefe der Einschnitte, hörte das Prusten der Pferde und das Plätschern kleiner Wasserfälle, sah halb verfallene Brücken und sandige Straßen, die unvermittelt auftauchten und im Grün verschwanden und auf denen in diesen Morgenstunden niemand wanderte und keine Karren fuhren.
Die Raubritter unterlagen einer Täuschung, sagte sich Rutgar betroffen. So schnell, wie sie vorankamen, ohne sich einen Weg freimachen zu müssen, so schnell und unbemerkt konnten sich auch die Seldschuken bewegen - nach Norden, also nach Civetot an der Küste. Die Reiter riefen einander wenige kurze Befehle zu, ließen die Pferde an gefährlichen Stellen im Schritt gehen. Der Ritt ging nach Süden, länger als eine Stunde durch menschenleeres Land. Rutgar konnte nicht eine Rauchfahne entdecken, die irgendwo hinter den Wäldern zeigte, dass dort Menschen lebten.
Als die Sonne die Reiter zu blenden begann, sahen sie die ersten Felder und die Ölbäume in langen Reihen an den Flanken der Hügel. Schafe weideten entlang einer sich schlängelnden Straße. Bienen und Fliegen summten in der Stille, die nur vom Flüstern des heißen Windes unterbrochen wurde. In den wolkenlosen Himmel, in dem Fischadler oder Geier kreisten, stiegen dünne Rauchwolken, die von Dörfchen kamen, die sich weit hinter dem Wald verbargen.
»Es geht nach links!«, rief Fulk von Orléans und drehte sich im Sattel halb herum. »Ein kleines Dorf, das noch nie fremde Besucher gehabt hat.«
»Es wird ein Fest für sie werden!«, antwortete Gottfried Burel lachend. Die Kriegsknechte murmelten begeistert. »Lasst euch Zeit! Haltet nach Türken Ausschau. Setzt die Helme auf.«
Auch Rutgar löste den Helm vom Sattel, setzte ihn auf und schloss das Kinnband. Die Stoppeln seines Kinns kratzten. Die bärtigen, langhaarigen Männer neben ihm, gleichaltrig und älter, führten hier das Leben, das sie erträumt hatten - weitab aller Zwänge, Gebote, Verbote und Einschränkungen. Sie brauchten keinen Herrn zu fürchten, sondern sehnten sich anscheinend nach dem Kampf gegen die Ungläubigen, von denen sie bisher noch keinen gesehen hatten. Der Ritt ging weiter.
»Hier verstecken die Dörfler auch ihr
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