Jerusalem
in seinem Land anrichtet.«
»Ich hoffe, du behältst nicht recht«, antwortete Rutgar und sagte sich, dass jeder andere Heeresführer an der Wildheit, dem Übermut und der gottlosen Gier der Ritter gescheitert wäre; dass sie Peter dem Einsiedel so lange gehorcht hatten, war wie ein Wunder.
Das Dorf Drakon versteckte sich hinter Tälern und Hügeln, deren Bewaldung undurchdringlich zu sein schien. Aber Chersala kannte einen Weg in dieses Versteck; Rutgar betete still, dass die Pilger noch nichts von Drakon wussten und das Dorf niemals fanden.
Er wandte den Kopf und sagte über die Schulter: »Bald wird es dunkel. Kommen wir vor Anbruch der Nacht noch nach Drakon?«
»Nein, es ist ein Weg von fünf, sechs Stunden«, antwortete Chersala unbeeindruckt. Sie roch ein wenig streng nach Minzblättern und einem Öl aus Blüten und Wurzelöl. »Ich bring uns an einen Platz, wo wir rasten können. Dort findet uns keiner.«
»Wohin also?«
»Siehst du die drei hohen Bäume? Die Wipfel mit den vielen Vögeln?«
»Ich sehe den Vogelschwarm um die Bäume«, sagte Rutgar und spornte den Rappen an. Er trabte in Schlangenlinien auf den Spalt in einem der nächsten Hügel zu, scheuchte kleine Tiere auf, die unsichtbar durchs Gestrüpp raschelten. »Du fürchtest dich nicht vor mir?«
Er spürte, dass sie mit den Schultern zuckte.
»Es geschieht, Ritter, was geschehen soll. Der Starke schlägt den Schwachen. Die Frau verliert immer, wenn der Mann gewinnt. Es ist Gottes Wille, predigen die Priester.«
»So war es ... ist es auch dort, wo ich herkomme«, antwortete er nach einigem Nachdenken. Der Rappe wurde müde und stolperte. Rutgar bekreuzigte sich. »Dass Gottes Wille auch in deinem Land die Armen arm hält und die Mächtigen salbt, hab ich nicht erwartet. Aber vielleicht versteh ich das alles nicht, weil ich zu jung bin.«
»Vielleicht«, sagte leise die Frau in seinem Rücken. Ihr warmer Atem streifte seinen Hals. »Wer weiß!«
In der beginnenden Dämmerung erreichten sie ungesehen einen Schlupfwinkel, in dem eine winzige Quelle murmelte und das Tier genug Gras fand. Im Grün und an lehmigen Stellen neben dem Rinnsal sahen sie nur frische Spuren von Rotwild oder Gazellen. Rutgar sattelte den Wallach ab, während Chersala Feuer schlug und den Proviant aus Rutgars Satteltaschen auspackte. Er breitete den Reitermantel über raschelndem Laub aus und ließ sich aus dem schweren Kettenhemd helfen.
In dem halb kopfgroßen Kupfergefäß, das sie in Rutgars Gepäck fand, bereitete Chersala einen Aufguss aus Kräutern, die sie im Gebüsch unter den Eichen pflückte. Rutgar ordnete seine Waffen und entschloss sich, weil nur das Gezwitscher der Vögel die Ruhe unterbrach, die Stiefel von den Füßen zu zerren. Er warf lange Blicke auf Chersala, sah ihre Haut, heller als die Ragenardas, und bemerkte ihre Geschicklichkeit. Er schätzte ihr Alter auf sechzehn, vielleicht achtzehn Jahre. Als sie den heißen Sud in den Krug seihte, öffnete Rutgar den Honigkrug und reichte ihn der Frau, zog sein Schwert aus der Scheide und rammte es neben seinem Lager zwischen Eichenwurzeln in die Erde. Das letzte Sonnenlicht schwand.
Schweigend aßen und tranken die junge Frau und er im Licht des winzigen, rauchlosen Feuers, von Mückenschwärmen umtanzt, was Rutgars karge Vorräte hergaben. Das Leben, in dem er aufgewachsen war, hatte ihn nicht gelehrt, mit einer Frau umzugehen, die vor seinen Augen beinahe geschändet worden wäre. Er lehnte sich gegen den Sattel, der stechenden Geruch nach Pferdeschweiß verströmte, und sah in Chersalas schmales Gesicht. In ihren Augen, groß und ein wenig mandelförmig, spiegelten sich die Flämmchen.
»Werden die Franken weiterreiten?« Chersala blickte in den Holzbecher in ihrer Hand. Der halbe Mond zwischen den Wipfeln übergoss die winzige Lichtung mit kaltem Licht. »Andere Dörfer überfallen? Beute nehmen? Bauern erschlagen?«
»Sie werden so lange wie die Wahnsinnigen hausen, bis unser großes Heer eintrifft oder die Seldschuken des Sultans sie niedermachen«, antwortete Rutgar. »Ein göttliches Wunder, wenn sie's nicht täten.«
»Und du, Ritter Rutgar?«
»Ich werde mich verstecken. Im Schutz des großen Heeres, so denke ich, werde ich ins Heilige Land und nach Jerusalem reiten.« Er machte eine vage Geste. »Oder auf dem Weg verstümmelt, versklavt oder erschlagen werden.«
»Ein Schicksal, schlimmer als vergewaltigt zu werden.« Sie leerte den Becher und stand auf. »Hast du ein Tuch? Ich
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