Jerusalem
Träume von Freiheit, Reichtum und gutem Leben wahr wurden.
Albert von Zimmern, der mit seinem Bruder Konrad am Feuer saß, hob den Becher und versuchte, die Gesichter der Ritter auf der anderen Seite des Feuers zu erkennen.
»Wir wollen das Land von den Ungläubigen befreien«, meinte er mit schon etwas schwerer Zunge. »Aber hier wohnen Christen, Ihr Herren! Zwar sind's griechische Christen, aber sie glauben an denselben Gott. Wir müssen sie schonen, dürfen sie nicht ausrauben!«
Walter von Breteuil, breitbeinig auf dem Sattel schwankend, spuckte ins Gras.
»Niemand gebietet uns, sie auszuplündern und zu töten!«, rief Wilhelm von Poissy in die Runde. »Wo wir Kirchen und Kreuze sehen, reiten wir weiter, nach kurzem Gebet.«
Über dem Lager und dem Meeressaum wölbte sich der südliche Himmel mit fremden Sternen und der halben Scheibe des Mondes, der auf unaussprechliche Weise drohender wirkte als über dem Rheintal oder dem Frankenland. Die schnarrenden Laute der Grillen und Zikaden, das Rauschen der niedrigen Brandung, die unzählbaren Fledermäuse, die unter den Ästen durch die Dunkelheit zuckten, und das unausgesprochene Gefühl, sich in Stunden der Gefahr nicht mehr ins Sichere retten zu können, hockten wie Dämonen der Angst in den Herzen der Grafen und ihrer Waffenknechte. Aber viel Wein und laute Reden, Kampf und die willenlosen Körper der weiblichen Gefangenen konnten die Dämonen bezwingen. Der Lärm um das Feuer drang über die Palisaden und weckte die schlafenden Pilger.
»Es geht also gegen Nikaia!«, rief Heinrich von Schwarzenberg. »Ich bin dabei! Wann brechen wir auf?«
»Nicht schon morgen in aller Frühe!«, antwortete Rudolf von Brandis, der Wein aus dem Krug trank und auf seine Knie schüttete. »Wir fallen ja schon hier von den Sätteln, und sie liegen auf dem festen Boden. Vom Pferd stürzen ...« Seine Rede endete in wirrem Gurgeln.
Friedrich von Zimmern blickte zu seinen Brüdern hinüber und gab einen lauten Rülpser von sich.
»Mit Kreuz und Schwert gegen die Heiden!«, rief er. »Welch ein schönes Land, durch das wir streitend reiten. Vergessen wir's nicht: Deus lo vult!«
Von den Zelten her ertönten kleine Trommeln, Querflöten und die Saiten einer Laute; eine Frau schluchzte mit rauer Stimme dazu entsetzlich falsch ein Lied, dessen Worte niemand verstehen konnte.
Zwischen Mitternacht und Morgengrauen hatten Vogelschreie Rutgar aufgeweckt; der Halbmond war weitergewandert und schien in sein Gesicht und auf sein Lager. Neben ihm lag Chersala halb zusammengerollt, einen Arm auf seiner Brust; sie atmete tief und ruhig, wie in einem schönen Traum. Rutgar schloss die Augen und drehte den Kopf zur Seite.
In seinen Gedanken erschienen Orte, Schluchten und Straßen, die er auf seinen Ritten kennengelernt hatte. Er versuchte, einige Namen und das wenige, was er von Drakon oder andern Siedlungen wusste, dem Bild des Landes zuzuordnen, und wünschte sich wieder einmal, er könne wie ein Adler oder ein Geier hoch darüberschweben. Er dachte an den Kampf, seine türkischen Gegner und an Berenger; es würde ihn nicht überraschen, wenn der geheimnisvolle Waräger plötzlich mit einer brennenden Fackel zwischen den Büschen auftauchen würde.
Die Ahnung, die er schon seit Tagen in sich spürte, gebar verstörende Vorboten der Furcht. Bilder suchten ihn heim: Das offene Tor seines Lebens. Ein Land, in dem Frauen wie Ragenarda aufwuchsen? Eine Karte dieses unbekannten Landes? Da war keiner, der ihn führte, bis er die Straße nach Jerusalem unter den Hufen seines Pferdes erkannte! Er blieb allein, wenn er sich nicht den gräflichen Schändern, Plünderern und Brandschatzern anschloss und ihrem Befehl gehorchte. Ein Stück Land in dieser Fremde, ein Lehen fern von der Burgruine? Auch er war in der Hand des Herrn, gehorchte dem Wort eines Gottes, der größere Gräuel zuließ als der Jahwe der Juden, von dem er wusste, dass er ein Gott ohne Barmherzigkeit war. Was sollte er, Rutgar, tun?
Er zuckte zusammen, als er Geräusche hörte. Er spannte seine Sinne an, lauschte und hörte zwischen Chersalas tiefen Atemzügen, dass Tiere zur Quelle gekommen waren und sich um das Wasser stritten. Chersala schlief wie jemand, der sich geborgen fühlte. Ein Vogel schrie im Schlaf. Rutgar sah das Mondlicht auf der Klinge des Schwertes und lächelte. Chersalas Finger bewegten sich, sie murmelte, die warmen Finger krochen wie die Beine eines großen Käfers zwischen die Säume seines Hemdes und
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