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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Flusses, den Chersala ebenso Drakon genannt hatte, drang bis hierherauf.
    »Vielleicht zehn Meilen sind es von hier bis Civetot, nicht mehr«, meinte Rutgar und drehte sich um. Nikaia versteckte sich weit hinter dem Horizont, Nebel erhob sich aus den Schluchten und Klammen. »Mich wundert, dass die Ritter das Dorf nicht längst gefunden haben.«
    »Wir hören und sehen sie, lange bevor sie uns sehen können«, antwortete Chersala leichthin und zuckte mit den Schultern. »Reiten wir nach Drakon, Grünauge! Zum Mittagessen sind wir im Dorf.«
    »Ja«, knurrte er. »Reiten wir.«
    Auf den Hügelrücken, den Windungen des Flusses folgend, näherten sie sich abseits der Straße nach Nikaia dem Dörfchen. Bald darauf erreichten sie einen Weg, in dem sich Räderspuren von Karren eingedrückt hatten.
    Chersala klatschte die flache Hand auf die Kruppe des Rappen und rief: »Die Straße führt geradewegs ins Dorf. Vater Gautmar wird sich freuen, dass er mich unversehrt wiederhat. Reite schneller, Rutgar.«
    Aber Rutgar ließ das Pferd im Schritt gehen; die doppelte Last war zu schwer für eine schnellere Gangart. Rechts und links des Dorfes erstreckten sich bis zum Waldrand Weiden, Äcker und Felder. An einigen Stellen waren viereckige Lichtungen herausgefällt worden. Die Ernte war bereits weitgehend eingebracht; nur wenige Garben standen noch auf den Kornfeldern. Auf der Hügelflanke wuchsen Weinreben, zwischen denen Kinder die Vögel verscheuchten.
    Drakons Häuser, Hütten und Scheunen duckten sich in das Tal. An einigen Stellen waren die Straßen zwischen den Häusern gepflastert. Hinter einer Mauer leuchtete die weiße Kirche. Ein Hund sprang bellend und knurrend auf den Rappen zu und wedelte mit dem Schwanz, als ihn Chersala scharf anrief. Verwundert sahen einige Dörfler, Sicheln und Rechen über den Schultern, dem Ritter und der jungen Frau nach, die zu einem lang gestreckten, niedrigen Haus mit Rieddach ritten, aus dem die Laute von Hammer und Amboss klangen. Einige Frauen winkten Chersala zu. Sie glitt zu Boden, nahm den Zügel und winkte den Dörflern zurück. Unter dem Vordach der Schmiede hielt sie den Rappen an. Sie rief lachend:
    »Erschrick nicht, Vater - ich bringe einen Fremden zu Besuch! Einen fränkischen Ritter.«
    Rutgar stieg ab. Auf den ersten Blick wirkte Drakon klein und ärmlich, aber gut gegen den kommenden Winter gerüstet. Die Häuser hatten dicke Wände und schwere Dächer, und einen Steinwurf entfernt sah er Heuhaufen, Kaminholz und das Loch einer Zisterne. Das Hämmern hörte auf, ein halbnackter, graubärtiger Mann, den Hammer in der Hand, trat unter das Vordach und blinzelte im Sonnenschein.
    »Einer von den Christen, die im Land morden und plündern? Hat er dir etwas ...?«
    Rutgar führte den Rappen in den Schatten und verbeugte sich knapp. Misstrauische Blicke aus braunen Augen trafen ihn. Chersala umarmte den Vater und zeigte auf Rutgar.
    »Er ist mit dem Heer der Christen gekommen. Aber er hat mich und eine andere Frau vor ihnen gerettet. Unterwegs hat er Brot, Salz und Wein mit mir geteilt. Und noch mehr.«
    Die letzten Worte flüsterte sie; nur Rutgar verstand sie. Vater Gautmar ließ den Hammer zu Boden fallen und sagte deutlich: »Willkommen, Fremder, in unserem Dörfchen. Es wird dich nicht wundern zu hören, dass wir euch seit Langem beobachten. Hinter dem Haus findet dein Pferd frisches Gras und Wasser.«
    »Jean-Rutgar heiße ich. Danke, Schmied Gautmar. Ich erzähle dir nachher, was mich in euer Land gebracht hat.«
    Gautmar blickte nach dem Stand der Sonne. »Hilf deiner Schwester, Chersala. Im Haus, im Kühlen - nicht nur die Fremden in Kibotos sind hungrig und durstig.«
    Rutgar nickte, band die prallen Taschen und den Schild vom Sattel und sattelte den Rappen ab. Gautmar blickte seiner Tochter nach, als könne er an ihrem Rücken ablesen, was sie erlebt hatte, dann nahm er dem Pferd den Zügel und die Trense ab und führte es zum Brunnen.
 
    Rutgar goss kaltes Brunnenwasser zum Wein, rührte um und lehnte sich zurück. Mit einem tiefen Schluck feuchtete er die Lippen an. »Jetzt weißt du alles, Schmied Gautmar, was ich weiß; eigentlich sollten die Menschen ordentlich wie ein Christenheer durch euer Land ziehen und niemandem etwas zuleide tun.«
    Die Glut des Schmiedefeuers war kalt geworden. Gautmar hatte meist schweigend zugehört und wenige kluge Fragen gestellt. Seine Blicke schienen Rutgar und Chersala durchbohren zu wollen. Er füllte seinen Becher mit Wein und

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