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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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drehte ihn in den kräftigen Fingern. »Wir warten auf unsere Jäger und deinen Bruder, Chersa. Sie lauern an der Straße wie Falken darauf, was die Fremden tun. Wenn sie Nikaia angreifen, wird der Sultan über sie kommen wie das Jüngste Gericht.«
    Rutgar nickte; er war sicher, dass auch die Landbewohner das Heer seit Langem beobachteten. »Ich werde kaum bei den Belagerern kämpfen. Ich verstecke mich, bis die Gefahr vorbei ist. Zuvor muss ich noch einen Fischer finden.«
    »Fischer? Brauchst du Salzfisch für den Weg nach Jerusalem?«, fragte Chersala spöttisch. Rutgar schüttelte lachend den Kopf und erklärte, warum er den Rat des Kapitäns befolgen musste. Vater und Tochter wechselten einen langen Blick, dann sagte der Schmied: »Wenn du von Kibotos nach Helenopolis reitest und weiter am Ufer, nach Sonnenuntergang, kommst du zu einem Wall aus Steinen und Quadern, aus Erde und dicken Pflöcken. Vor vielen Jahren lebten dort Menschen, wie in Kibotos. Jetzt ist die ... Burg verfallen. Zwei Stunden zu Fuß, und schon seid ihr von Kibotos dorthin gerannt.«
    »Und dort finde ich die Fischer?«
    »Der alte Faroard macht dort nachts fest. Ihm gehören drei Boote und die Fischhütten; ein Boot ist meines. Wenn du ihm sagst, dass ich dich schicke, tut er, was du willst.«
    »Mit ein wenig Gold fällt's ihm leichter«, murmelte Rutgar und sah zur Scheune hinüber. »Ich danke dir, Gautmar. Habe ich heute ein Nachtlager unter deinem Dach?«
    »Wir teilen mit dir, was wir haben«, versicherte der Schmied würdevoll und säuberte seine rußigen Finger. Er beschlug nicht nur Pferde und schmiedete Äxte, sondern war, wie er erzählte, auch ein geübter Zimmermann, der Truhen herstellte und selbst Boote instand setzte.
    Während sie redeten, kamen die Jäger zurück. Ein junger Mann hängte eine erlegte Gazelle an die Sparren des Vordachs, trat ein und begrüßte Gautmar fast ehrfürchtig; der Schmied war offenbar ein geachteter Mann im Dorf.
    »Sie sind aufgebrochen, Ältester!«, berichtete er dann voller Aufregung. »Wir haben das Zählen aufgegeben, aber es waren sechsmal tausend Fremde. Dein Bruder ist noch im Versteck, Chersa.« Er sah Rutgar an, stutzte und kam, die Hand am Dolchgriff, langsam näher. Gautmar schob einen frisch gefüllten Becher über die Tischplatte und sagte:
    »Setz dich. Das ist Rutgar, der zwei Frauen gerettet hat. Meine Chersala und eine Frau aus der Umgebung von Nikaia. Er darf alles wissen.«
    »Mehr als zweihundert Reiter, nicht wahr?«, sagte Rutgar. »Und etwas weniger als sechstausend zu Fuß.«
    »Das könnte stimmen«, sagte der Jäger und setzte sich zögernd. »Wir konnten sie nur aus dem Versteck beobachten. Uns hat niemand gesehen. Sie ritten auf der Straße nach Nikaia.«
    »Nach längstens zwei Tagen sind sie vor den Mauern.« Rutgar wusste jetzt, dass Drakon ein Grenzdorf und das Flüsschen Drakon der Grenzfluss zwischen dem Reich des Basileus und dem Sultanat der Rum-Seldschuken war. Zu abgelegen und von der Straße kaum zu sehen, war Drakon im vergangenen halben Jahrhundert niemals ernsthaft geplündert worden. Die Bauern und Handwerker der Grenzdörfer waren dem Basileus abgabenpflichtig; seine Steuereintreiber waren, bestätigte der Schmied, keine Unmenschen. Seit Civetot vom Pilgerheer besetzt worden war und die räuberischen Ritter andere Dörfer verwüstet hatten, waren die Bewohner Drakons bereit, jederzeit zu flüchten und sich zu verstecken, aber bislang war es noch nicht erforderlich gewesen.
    »Weit und breit war kein Türke zu sehen«, fuhr der Jäger fort. »Nicht einmal eine Spur von ihnen.«
    »Die ritterlichen Pilger haben einen türkischen Trupp niedergemacht.« Rutgar berichtete von seinem Erlebnis unter der Brücke und von seinem Kampf. Als Gedalsi, Chersalas jüngere Schwester, einen gefüllten Weinkrug brachte, setzte sie sich neben ihren Vater und hörte stumm zu.
    »Es ist keiner entkommen«, schloss Rutgar, »also haben sie vermutlich in Nikaia keine Nachricht darüber.«
    »Glaub mir, Rutgar.« Gautmar stützte sich schwer auf den Tisch. »Die Anführer der Seldschuken wissen, was in diesem Land geschieht. Sie haben ihre Späher überall.«
    Rutgar nickte schwer. »Wenn das so ist, dann stehen die Truppen von Sultan Kilidsch Arslan schon mit frisch geschliffenen Krummschwertern bereit.«
    »So ist es«, bekräftigte der Schmied. »Aber sie warten wohl noch in der Nähe Nikaias auf ihre Befehle.«
    Rutgar nahm einen Schluck Wein und schloss die Augen. In

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