Jesus liebt mich
Alter taten: sich gemeinsam auf dem Sofa langweilen?
«Du fragst dich sicher, warum ich bei Gabriel war. Und du hast auch ein Recht darauf, es zu erfahren.»
Ich wusste nicht, ob ich von dem Recht Gebrauch machen wollte. Aber die Vorstellung, nach Swetlana als Stiefmama vielleicht auch noch Gabriel als Stiefpapa zu bekommen, brachte mich dazu zu fragen: «Okay, warum warst du bei Gabriel?»
Als Antwort sang meine Mutter: «
Girls just wanna have fun
.»
«Du warst das letzte Mal im vorigen Jahrtausend ein Girl», erwiderte ich genervt.
«Du aber auch», konterte sie.
«Mir ist das jetzt echt zu blöd», motzte ich und wollte an ihr vorbeigehen. Mama aber stellte sich mir in den Weg.
«Wenn du Hilfe brauchst …», begann sie.
«Leg ich mich bestimmt nicht bei dir auf die Couch», unterbrach ich sie.
«Ich bin ja auch an all deinen Problemen schuld, weil ich mich hab scheiden lassen», erwiderte sie lakonisch, und ich nickte außerordentlich zustimmend.
«Weißt du, Marie, irgendwann kommt man in das Alter, in dem man aufhören muss, seinen Eltern die Schuld für alles zu geben. Da muss man sein Leben selbst in die Hand nehmen.»
«Und wann genau ist man in dem Alter?», fragte ich spitz.
«Mit Anfang zwanzig», grinste sie. Und im Gehen sagte sie noch: «Aber wenn du doch mal psychologische Hilfebrauchst, kann ich dir gerne einen guten Therapeuten besorgen.»
Ich blickte ihr nach, ihre überhebliche Art machte mich stets so wütend, dass ich mir lieber einen guten Profikiller besorgt hätte.
Als ich Gabriels Büro betrat, sah ich wieder auf das Abendmahlgemälde und erkannte, dass Jesus tatsächlich etwas Ähnlichkeit mit Joshua hatte, sogar noch mehr als mit einem Bee Gee. Das war schon ein bisschen unheimlich. Gabriel war gerade aus irgendwelchen Gründen dabei, alle Termine für die nächste Woche zu streichen. Ohne von seinem Kalender aufzublicken, fragte er mich: «Na, willst du wieder heiraten?» Nach dreißig Jahren ohne einen Lacher bei einer seiner Predigten hatte Gabriel immer noch nicht mitgekriegt, dass er keinen nennenswerten Sinn für Humor hatte.
«Ich … ich will Sie etwas fragen. Wegen Joshua.»
Gabriel blickte nun doch auf und sah mich streng an, aber ich wollte es nun wissen und stammelte tapfer: «Er … sagte, dass er Jesus sei. Ist … ist er verrückt?»
Gabriel antwortete mit einer strengen Gegenfrage: «Was willst du von ihm?»
Gott sei Dank war ich nüchtern und antwortete nicht ‹hobeln›.
«Ist er verrückt?», wiederholte ich stattdessen meine Frage.
«Nein, ist er nicht.»
«Warum hat er dann gelogen?», wollte ich wissen.
Gabriel ging darauf nicht ein und sagte nur: «Marie, Joshua wird deine Gefühle niemals erwidern.»
«Wieso?», fragte ich, ohne dass mir auffiel, dass ich damit zugab, etwas für Joshua zu empfinden.
«Glaube mir, dieser Mann wird sich nicht in eine Frau verlieben», erklärte Gabriel bestimmt.
Und ich dachte mir: «Mein Gott, Joshua ist doch schwul!»
Als ich nach Hause kam, summte es in meinem Kopf: Joshua hatte mir doch von einer anderen Frau erzählt, konnte er da wirklich schwul sein? Aber andererseits: Menschen aus Palästina fiel so ein Coming-out sicherlich schwer, bestimmt fast so schwer wie Profifußballern. Vielleicht sagte man dort einer Frau, die man abwimmeln will, sogar lieber «Ich bin Jesus» als «Ich trage gerne rosa Unterwäsche».
Kata war unterwegs, mit ihr konnte ich über meinen Verdacht also nicht reden. Daher kletterte ich direkt zu Joshua auf den Dachboden. Er sägte gerade einen neuen Holzpfeiler zurecht und sang dabei wieder einen seiner Psalmen. Als er mich sah, hörte er auf zu singen und blickte milder drein als zuvor. Seine Wut war wohl wieder verflogen. Schnurstracks begann ich mit der Aktion ‹unauffälliges Ausfragen›: «Sag mal, Joshua … hast du deine Psalmen in der Heimat auch allein singen müssen?»
Joshua blickte mich erstaunt an und antwortete dann: «Nein, das habe ich nicht.»
«Mit wem hast du sie denn gesungen?»
«Ich hatte Freunde.»
«Männer?»
«Ja, Männer.»
Also doch schwul?, fragte ich mich.
«War auch jemand dabei, den du liebtest?» Ich ging nun aufs Ganze.
«Ich habe sie alle geliebt.»
Alle?, dachte ich entsetzt bei mir.
«Wie viele Männer waren es denn?»
«Zwölf», antwortete Joshua.
Ach, du meine Güte!
«Aber … doch nicht alle gleichzeitig», kicherte ich verlegen.
«O doch, selbstverständlich.»
O mein Gott!!!
«Sie waren
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