Jesus liebt mich
starrte ihn an.
«Ähem, ich meine damit … einen alten Freund … der … der ist Jungfrau», erklärte er stammelnd.
«Welcher Freund denn?», wollte ich wissen
Michi war vor lauter Nervosität kurz vorm Hyperventilieren. Sein Blick fiel auf die DV D-Hülle von «Die Bourne Identität», und so sagte er hastig: «Franko Potente.»
«Franko Potente?», wiederholte ich ungläubig.
Michi wurde rot.
Ich war sehr überrascht. Ich wusste zwar, dass Michis Sexualleben derzeit inaktiv war, aber ich dachte, er hätte wenigstens schon einmal in seinem Leben Sex gehabt. Er hatte ja Freundinnen gehabt. Na ja, um genau zu sein, eine. Sie hieß Lena. Die war allerdings auch Katholikin wie er.
Mann, Religion konnte ja so was von fies sein.
«Ist dieser Franko unterdrückt schwul?», fragte ich.
«Nein, nein, nein, wie kommst du denn darauf?», stammelte Michi. «Franko ist echt hetero.»
«Aber?»
«Er liebt nur seit Jahrzehnten die falsche Frau», gab er traurig zu.
Mir wurde noch mulmiger, als mir ohnehin schon zumute war. Meine Illusion, dass Michis Freundschaft zu mir rein platonischer Natur war, ließ sich nun endgültig nicht mehr länger aufrechterhalten. Michi hob an zu einem Geständnis seiner Liebe. Ich aber wollte das nicht hören. Daher sah ich von ihm weg. Mein Blick landete auf einer DV D-Hülle , und ich bat Michi inständig: «Sag bitte, sie heißt Tilly Schweiger.»
Michi war überrascht.
«Dann verliere ich keinen Freund», erklärte ich.
Michi überlegte und sagte dann, mit einem traurig gequälten Lächeln: «Sie heißt Tilly Schweiger.»
«Danke.»
Wir schwiegen eine Zeitlang. Dann stellte Michi eine Frage, die ihm schon eine Weile auf der Seele brannte: «Liebst du Jesus? Ich meine, in einer Art, wie wir normale Christen es nicht tun? Und es wohl auch nicht tun sollten?»
«Sieht so aus», gab ich zerknirscht zu.
Dieses Geständnis traf ihn. Da hatte Michi nun sein ganzes Leben lang Jesus verehrt. Und nun war er der einzige Mensch auf der Welt, der eifersüchtig auf den Sohn Gottes war.
Tapfer versuchte er, dieses Gefühl beiseitezuschieben, und sagte etwas, was mich erschütterte: «Die Welt hat ja auch verdient unterzugehen.»
Fassungslos sah ich ihn an, und er erklärte mir, warum er das dachte: «Es gibt so viele furchtbare Dinge auf diesem Erdball: Bürgerkriege, Umweltzerstörung, Menschenhandel …»
Auch mir fielen spontan Dinge ein, weswegen man die Menschheit auf die Anklagebank setzen konnte:
Das Frühlingsfest der Volksmusik
Arschgeweihe
Oliver Pocher
Werbespots mit kleinen Kindern
Fish-Macs
Gangsta-Rapper mit albernen Masken
Eltern, die ihre Kinder Chantalle nennen
Hatte Michi also recht? War es vielleicht sogar gut, wenn das Himmelreich kam? Sollte ich das überhaupt in Frage stellen? Oder war das der beste Weg zu einem Freischwimmkurs im Feuersee? Würde ich den vielleicht sowieso belegen? Oder hatte ich noch Zeit, auf mein Schicksal Einfluss zu nehmen?
Und wenn nicht?
Dann könnte ich mir alle Träume abschminken, die ich jemals hatte, nochmal eine Familie zu gründen, Kinder zu bekommen … so kleine, süße, pflegeleichte Mädchen, die als Babys sofort nachts durchschlafen … und später immer zu mir sagen: «Mama, du bist die Beste und auch gar nicht sooooo dick …»
Und wo ich dann schon mal beim Abschminken war: Das könnte ich dann auch mit der Hoffnung machen, dass ich es nochmal schaffen könnte, etwas Besonderes in diesem Leben zu leisten. Ich würde als M.o.n.s.t.e.r. von dieser Erde abtreten.
Ich musste also unbedingt den Weltuntergangstermin von Jesus erfahren, selbst wenn der unglaublich wütend auf mich war.
38
Unterdessen
Pastor Gabriel saß in der Badewanne, die voller Schaum war. Bei ihm Silvia, die es genoss, wie er ihr den Rücken einseifte. Sie war heute viel gelöster und mehr auf Zärtlichkeit aus denn auf Sägen. Sie hatte sogar gesagt, dass sie Liebesgefühle für ihn empfinde, was sein Herz so aufgeregt schlagen ließ, wie es das sonst nur in der Anwesenheit Gottes tat. Psychologin, die Silvia war, konnte sie ihm auch genau erklären, warum sie sich plötzlich ihm gegenüber so öffnen konnte: Nach über zwanzig Jahren hatte sie sich mit ihrer Tochter endlich versöhnt, das löste emotionale Blockaden, hatte sie sich doch bisher nie auf einen anderen Mann einlassen können, weil sie sich gegenüber Marie stets so schuldig gefühlt hatte. Während Silvia so von ihrem Kummer erzählte, den sie all
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