Jesus von Nazaret
eine Zollstation. Darunter kann man sich eine kleine Hütte vorstellen mit einem Wechseltisch davor, an dem die Passanten ihre Abgaben bezahlten undihre Quittung erhielten. Der Zöllner in Kafarnaum hieà Levi und er war wie alle seinesgleichen bei den Juden tief verachtet. Zöllner trieben Geld für die römische Besatzungsmacht ein. Da sie Pacht zahlen mussten und nicht unerhebliche Ausgaben hatten, waren sie gezwungen, auch in die eigene Tasche zu wirtschaften, was ihnen den Ruf als Betrüger und Halsabschneider einbrachte.
Levi wird wie alle seine Berufsgenossen in Kafarnaum ein verhasster AuÃenseiter gewesen sein, mit dem niemand etwas zu tun haben wollte. Und was machte Jesus? Er ging zur Zollstation, redete mit Levi und forderte ihn schlieÃlich auf, sich ihm anzuschlieÃen. (Mt 9,9-13) Nach dem biblischen Bericht war Levi völlig aus dem Häuschen und lieà alles stehen und liegen. Nicht genug, dass Jesus mit diesem AusgestoÃenen redete, er lieà sich von Levi auch noch in dessen Haus zum Essen einladen. Da saà er dann am Tisch mit anderen Zöllnern und Leuten mit schlechtem Ruf. Und man kann sich vorstellen, wie die Menschen in Kafarnaum sich den Mund zerrissen und es nicht fassen konnten, mit welchen Leuten sich Jesus abgab. Auf die Vorwürfe der Religionsführer antwortete Jesus aber nur: »Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.« (Mt 9,12)
Die Kranken, das waren für Jesus alle, die aus sozialen oder religiösen Gründen ausgeschlossen, an den Rand gedrängt, zu Sündern oder Minderwertigen erklärt worden waren. Jesus wusste offenbar, dass Menschen, die keineAnerkennung erfahren, denen jede Würde genommen wird, die vom öffentlichen Leben ausgeschlossen und isoliert sind, »krank« werden, krank an Leib und Seele. Darum besteht auch bei den Krankenheilungen, die Jesus vornimmt, ein erster und wichtiger Schritt darin, dass er die Kranken aus ihrer Vereinsamung herausholt. Heilung bedeutet immer auch Anerkennung, Würdigung, Gleichberechtigung.
Dieser Zusammenhang wird in einer Geschichte deutlich, die ebenfalls in Kafarnaum spielt. Dort gab es neben der Zollstation auch einen Posten der römischen Armee, der von einem Hauptmann befehligt wurde. Dieser Hauptmann scheint Sympathien mit den Juden gehabt und auch den Bau der Synagoge in Kafarnaum unterstützt zu haben. Er hat auch mitbekommen, welche ungewöhnlichen Heilungen Jesus bewirkt hat, und richtet sich nun an ihn mit der Bitte, seinen kranken Knecht zu heilen. (Mt 8,5-13) Jesus ist auch sofort dazu bereit, obwohl der Hauptmann ein Heide und es einem frommen Juden verboten ist, das Haus eines Ungläubigen zu betreten. Hinzu kommt, dass sich römische Soldaten oft Knechte und Sklaven als »Lustknaben« hielten. Das war bekannt und auch Jesus hätte zumindest diesen Verdacht haben können. Homosexualität galt im Judentum als schwere Sünde.
In der biblischen Geschichte kümmert sich Jesus weder um das Heidentum des Hauptmanns noch um eventuelleGerüchte um sein Sexualleben. Einzig und allein der Glaube des Mannes ist für ihn entscheidend. Der Hauptmann ist fest überzeugt davon, dass Jesus seinem Knecht helfen kann. Er selber gesteht dagegen seine Unwürdigkeit und seine Ohnmacht ein und möchte nicht, dass Jesus sich die Mühe macht, in sein Haus zu kommen. Ein Wort von ihm sei genug. »Herr, bemüh dich nicht!«, so lässt er Jesus ausrichten. »Denn ich bin es nicht wert, dass du mein Haus betrittst.« Von dieser Haltung ist Jesus so beeindruckt, dass er den Hauptmann als Vorbild hinstellt und schlieÃlich zu ihm sagt: »Es soll geschehen, wie du geglaubt hast.« (Mt 8,13)
Der Knecht des Hauptmanns wird gesund, obwohl ihn Jesus nicht zu Gesicht bekommt. Aber nicht diese Fernheilung steht in der Geschichte im Mittelpunkt, sondern die Haltung des Hauptmanns. Es ist sein Bekenntnis, hilflos und angewiesen zu sein und ganz auf Jesus zu vertrauen. Vonseiten Jesusâ besteht unentwegt das Angebot einer bedingungslosen Anerkennung und göttlichen Liebe. Aber dieses Angebot kann nur angenommen werden von jemandem, der zugibt, dass er sein Heil nicht alleine herstellen kann, dass er auf Hilfe angewiesen ist. Erst wenn diese zwei Seiten zusammenkommen, das Angebot göttlicher Liebe und die Einsicht menschlicher Ohnmacht, dann kann das geschehen, was die Bibel »Wunder« nennt.
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M ITTEN IN
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