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Jesus von Nazaret

Jesus von Nazaret

Titel: Jesus von Nazaret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alois Prinz
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sollen.
    Das sind aber nicht der Gott und der Glaube, den Jesus verkündet hat. Jesus weigerte sich, übernatürliche Taten zu vollbringen, damit die Leute an ihn glaubten. »Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht«, sagt er einmal resignierend. (Joh 4,48) Nicht der Wundertaten wegen sollten die Menschen an ihn glauben, sondern umgekehrt. Der Glaube an den gütigen, liebevollen Gott verleiht erst die Kraft, Gutes zu bewirken, Menschen zu heilen. So verstanden handelt Gott nicht aus einer weltabgewandten Ferne, sondern mitten in der Welt. Und wenn wir davon reden, dass Gott im Jenseits ist, so dürfen wir das nach Bonhoeffer nicht so verstehen, dass Gott jenseits der Naturgesetze oder jenseits unseres Erkenntnisvermögens zu suchen ist. Sondern es ist ein Jenseits oder, wie die Theologen sagen, eine »Transzendenz«, die wir jederzeit und überall erfahren können.Oder wie Dietrich Bonhoeffer es paradox ausdrückt: »Gott ist mitten in unserm Leben jenseits.« 74
    Ein Gott, der mitten im Leben erfahren werden kann, macht es vielleicht auch möglich, dass eine Schar von Menschen mit ein paar Broten und Fischen versorgt werden kann. »Der Mensch lebt nicht nur von Brot allein«, sagte Jesus und meinte damit, dass etwas hinzukommen muss. Und nicht von ungefähr steht am Anfang dieses Wunders Jesus’ Blick zum Himmel, so als ob er sich noch einmal der grundlosen Güte Gottes versichern wollte. Es ist der Glaube an diese Güte, die für Jesus das Wichtigste ist, auch für die Menschen. Wer an diese Güte glaubt, kann sich in Gottes Arme fallen lassen und braucht sich keine Sorgen mehr zu machen um den nächsten Tag.
    Diese Güte bewirkt eine Verwandlung. Sie kann Menschen das Gefühl geben, zuallererst und von Anfang an Empfangende zu sein und deshalb geben zu können. Sie kann die Angst nehmen davor, dass man zu kurz kommt. Sie kann Menschen so verändern, dass sie nicht mehr sich ängstlich an ihren Besitz klammern, nicht mehr in erster Linie an sich selbst denken, sondern freigiebig werden und lernen zu teilen. Und wenn viele so offenherzig und großzügig werden, kann es vielleicht auch sein, dass ganz wenige Lebensmittel für viele Menschen reichen. Und wäre das dann nicht ein Wunder?
    Ein Wunder wäre wohl auch nötig gewesen, damit Jesus sich einmal in Ruhe hätte zurückziehen können. Er wählte den schwierigeren Weg und fuhr mit seinen Jüngern im Boot an das Ostufer des Sees Gennesaret. Dort lag das Gebiet der Dekapolis, ein Verbund von zehn Städten mit vorwiegend griechischer Bevölkerung und hellenistischer Kultur. Als Jesus aus dem Boot stieg, erwartete ihn am Ufer zwar keine Menschenmenge, aber von Weitem sah er schon einen Mann auf sich zurennen. Das muss eine furchterregende Erscheinung gewesen sein. Der Evangelist Markus berichtet, dass dieser Mann in den »Grabhöhlen« wohnte und von dort Tag und Nacht seine Schreie zu hören waren. (Mk 5,1-20) Man hatte versucht, ihn mit Stricken und dann mit Ketten zu fesseln. Aber dieser Mann war so wild und ungestüm, dass ihn niemand bändigen konnte.
    Und jetzt kommt er aus seiner Grabhöhle hervor und läuft auf Jesus zu. Man hätte erwarten können, dass er wie vorher viele andere Notleidende sich Jesus zu Füßen wirft und ihn um Hilfe anfleht. Es kommt jedoch ganz anders. Der wilde Mann schreit Jesus an, dass der ihn nicht quälen, sondern in Ruhe lassen soll. Das ist ein extrem widersprüchliches Verhalten und auch Jesus scheint überrascht zu sein. Denn zuerst hat er ihn für jemanden gehalten, der von einem Dämon besessen ist, und er hat dem Dämon befohlen, den Mann zu verlassen. Dieser Befehl hat aber den Widerstand des Mannes erstrecht verstärkt. Offenbar hofft der Mann auf Hilfe, gleichzeitig aber hat er Angst davor, dass ihm geholfen wird. Seine Krankheit ist auch ein Schutzraum, in den er sich geflüchtet hat, damit ihm andere Verletzungen und Leiden erspart bleiben. Deswegen bedeutet Heilung für ihn eine Gefahr.
    Jesus ändert seine Strategie. Er fragt den Mann nach seinem Namen. Und er erhält die erstaunliche Antwort: »Legion ist mein Name, denn viele sind wir.« Es ist tatsächlich so, als ob viele Stimmen aus ihm sprechen würden, und heute würde man vermutlich sagen, dass dieser Besessene eine multiple Persönlichkeit ist. Er hat kein eigenes Ich, sondern besteht aus

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