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Jesus von Nazaret

Jesus von Nazaret

Titel: Jesus von Nazaret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alois Prinz
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herbeizwingen kann. Und nur, wer an diese grundlose und maßlose Güte Gottes glaubt, der wird auch selber fähig sein, absichtslos Gutes zu tun, ohne Hintergedanken und ohne Dank und Beifall zu erwarten. Und nur, wer so handeln kann, der kann auch verstehen, was in den Evangelien mit Tod und Auferstehung gemeint ist.
    In Fjodor Dostojewskis Roman Die Brüder Karamasow ist es eine vornehme Dame, die dem greisen Mönch Sosima gesteht, dass sie nicht mehr an ein Leben nach dem Tod glaubt. Sie liebt zwar die Menschheit, aber sich umeinen einzelnen Menschen zu kümmern, das schafft sie nicht, weil sie dessen Launen nicht erträgt und für ihre Mühe gelobt und belohnt werden will. Für den Mönch Sosima können die Zweifel der Dame nicht durch Worte und Beweise überwunden werden, sondern nur, indem sie ihrem Nächsten mit selbstloser Liebe begegnet. »Geben Sie sich Mühe«, so rät er der Frau, »Ihre Nächsten tätig und unermüdlich zu lieben. In dem Maße, wie Sie Fortschritte machen in der Liebe, werden Sie sich vom Dasein Gottes überzeugen wie auch von der Unsterblichkeit der Seele.« 89
    In den Tagen vor dem Passahfest ist Jerusalem im Ausnahmezustand. Die Atmosphäre ist angespannt. Die Angst vor Unruhen liegt in der Luft. Von überall her strömen die Pilger in die überfüllte Stadt. Vor den Mauern lagern die Menschen in Zelten. Unter den Pilgern, die fröhlich singend vom Ölberg hinab ins Kidrontal wandern und von dort hinaufsteigen zu den Toren der Heiligen Stadt, ist auch Jesus mit seinen Jüngern. Jesus reitet auf einem Esel. Das ist eine Geste der Demut. Kein Vergleich zu Pontius Pilatus, der ansonsten in Caesarea residiert und wie jedes Jahr an den Festtagen mit seinen Truppen in Jerusalem einzieht. Jesus’ Begleiter rufen laut »Hosanna!« und schwenken Palmzweige. Aber in dem ganzen Trubel, inmitten der singenden und jubelnden Menschen, fällt das nicht besonders auf.
    Im Tempel ist Jesus ein gefragter Mann. Jüdische Männer aus Griechenland wollen ihn unbedingt kennenlernen und mit ihm sprechen. Aber vor allem sind es die religiösen Führer des Volkes, Priester und Schriftgelehrte, die sich ihm in den Weg stellen und ihn in Streitgespräche verwickeln. Immer wieder geht es um die Frage, woher Jesus das Recht nimmt, im Namen Gottes zu sprechen und zu handeln. Die Fragesteller wollen Jesus in die Enge treiben und ihn der Gotteslästerung überführen. Mit den Schriftgelehrten verbündet haben sich die Anhänger der Nachkommen des Königs Herodes, Herodianer genannt. Sie vertreten eine romfreundliche Politik und befürchten Unruhen, wenn die Menge eine charismatische Figur wie Jesus zum Messias ausruft.
    Eine Gruppe von Pharisäern und Herodianern ist es dann auch, die im Tempelvorhof auf Jesus zukommt. Die Männer tragen lange, wallende Gewänder und rühmen zunächst Jesus’ Weisheit. Doch dann stellen sie eine Frage, die es in sich hat: »Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen oder nicht?« (Mat 22, 15-22 parr). Diese Frage ist natürlich eine Falle, eine ziemlich perfide Falle. Denn egal, wie Jesus antwortet, liefert er einen Grund, gegen ihn vorzugehen. Sagt er Ja, dann gilt er beim Volk als Verräter, der die Gesetze der Römer akzeptiert. Sagt er Nein, dann wahrt er zwar beim Volk sein Ansehen, macht sich aber in den Augen der römischen Besatzer zum Aufwiegler.
    Wie sich Jesus aus dieser Zwickmühle befreit, das spricht für seine souveräne Gelassenheit, für seinen Humor und für sein schauspielerisches Talent. Denn zunächst bittet er seine Gegner, ihm einen Denar zu geben, so als hätte er diese kleine römische Silbermünze noch nie gesehen. Mit gespielter Naivität fragt er dann auch noch, wer auf dem Geldstück abgebildet ist und was für eine Aufschrift es trägt. Natürlich weiß Jesus, dass auf der Vorderseite des Denars das lorbeergeschmückte Brustbild des Kaisers Tiberius zu sehen ist. Und der umlaufende Text lautet: »Kaiser Tiberius, der verehrungswürdige Sohn des göttlichen Augustus«. 90
    Eine Münze mit diesem Bild und dieser Inschrift ist für einen gläubigen Juden wie ein Schlag ins Gesicht und eine ständige Provokation. Indem Jesus in vorgeblicher Ahnungslosigkeit seine Widersacher dazu bringt, ihm die verpönte Münze zu zeigen, dreht er den Spieß um und konfrontiert sie mit den

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