Jesus von Nazaret
Tatsachen. Denn die Pharisäer und Herodianer tragen den »Zinsgroschen« in ihren eigenen Taschen, benutzen also dieses Geld und geben damit zu, dass sie sich schon längst mit der römischen Herrschaft arrangiert haben. Die Frage für Jesus ist nur, wie man sich in dieser Situation verhält. Und darauf gibt er die einfache und zugleich geniale Antwort: »So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!«
Jesus spricht sich mit dieser Antwort nicht dafür aus, Politik von Religion zu trennen. Ihm geht es darum, dieBedeutung von Politik und Wirtschaft zu relativieren. Der Kaiser hat Macht und die Menschen müssen sich dieser Macht bis zu einem gewissen Grad beugen. Ebenso profitieren Menschen von politischen MaÃnahmen und sollen den Forderungen, die daraus an sie entstehen, auch nachkommen. Aber dieser Einfluss und diese Forderungen dürfen nie so weit gehen, dass ein Machthaber oder Politiker totale Macht über Menschen gewinnt. Und umgekehrt dürfen Menschen vor politischen Gewalten nie so viel Angst oder Respekt haben, dass sie sich ihnen total ausliefern. So wie in die römische Münze das Bild des Kaisers eingeprägt ist, so sollte in das Herz eines jeden Menschen das Bild Gottes eingesenkt sein. Darin bestehen die unvergleichliche Würde eines jeden Menschen und seine Freiheit, die ihn gegenüber allen weltlichen Mächten unabhängig macht. Der Mensch gehört Gott und niemandem und nichts sonst, und das macht ihn frei.
Diese Freiheit bewahrt die Menschen aber auch davor, ihre Fähigkeiten zu überschätzen und Ziele anzustreben, die sie Gott überlassen sollten. Ein Politiker soll mit Kompromissen für möglichst friedliche Verhältnisse sorgen, aber er soll nicht das Paradies auf Erden herstellen. Ein Arzt sollte Krankheiten heilen und nicht Seelen retten. Und ein Jurist sollte nach bestem Wissen und Gewissen Recht sprechen, aber nicht das Jüngste Gericht vollstrecken. Auch das heiÃt es, dem Kaiser zu geben, was dem Kaiser, und Gott, was Gott gehört.
In den Gesprächen mit den Schriftgelehrten lässt sich Jesus nicht in eine Falle locken. Meistens müssen seine Widersacher beschämt oder ratlos wieder abziehen. Dessen ungeachtet ist das Urteil über Jesus längst gefällt. Die Frage ist nur noch, wann und wie man ihn beseitigt. Die Mitglieder des Hohen Rates, der höchsten geistlichen Behörde, versammeln sich im Haus des Hohepriesters Kaiphas und beschlieÃen, die Sache nun möglichst schnell und heimlich zu erledigen. Auf alle Fälle soll das noch vor dem Passahfest geschehen, um keine Unruhen auszulösen. Ebenso will man auffällige Razzien vermeiden.
In ihren Plänen kommt den Männern des Hohen Rates das Angebot eines Mannes sehr gelegen, der seine Hilfe anbietet, um Jesus unauffällig festzunehmen. Es ist jener Judas, der zum engsten Kreis der Leute um den Mann aus Nazaret gehört. Warum dieser Judas seinen Meister ausliefern will, das interessiert die geistlichen Führer nicht. Für sie ist er eben ein nützlicher Handlanger, der für seine Dienste dreiÃig Silberstücke erhält.
Judas, der aus Karioth stammt und darum Judas Ischarioth genannt wird, ist eine schwer zu durchschauende Gestalt. Zu leicht macht man es sich aber, wenn man ihn nur als Verräter sieht. Judas war ein gesetzestreuer Jude und ein glühender Patriot. Er hat alle seine Hoffnungen in Jesus gelegt. Von ihm hat er erwartet, dass er sich an die Spitze einer Bewegung stellt, um endlich die heidnischen Römer aus dem Land zu verjagen. Dass Jesus solchePläne von sich gewiesen hat und also passiv geblieben ist, das hat Judas noch verzweifelter und ungeduldiger gemacht. Mit seiner Aktion hat er sicher nicht beabsichtigt, Jesus ans Messer zu liefern. Wahrscheinlicher ist, dass er die Gefahr für Jesus auf die Spitze treiben wollte, um ihn zum Handeln zu zwingen. Judas wollte, dass Jesus endlich der Messias wird, den er sich immer ersehnt hat.
Tagsüber hielt sich Jesus in Jerusalem auf, abends kehrte er zu seinem Quartier nach Betanien zurück. Zwei Tage vor dem Fest, am dreizehnten Tag des jüdischen Monats Nisan, schickte er zwei Jünger, Petrus und Johannes, voraus, damit sie in Jerusalem einen Raum anmieten, in dem Jesus mit seinen Jüngern ein gemeinsames Festmahl feiern wollte. Ob dieses »Abendmahl« ein traditionelles Passahmahl war, ist bis heute umstritten.
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