Jesus von Nazaret
Für diese Annahme spricht, dass dieses Festmahl in Jerusalem stattfand. Das Passahmahl durfte nicht auÃerhalb der Heiligen Stadt abgehalten werden, und auch die darauf folgende Nacht musste man dort verbringen. Die beiden Jünger fanden in der überfüllten Stadt tatsächlich ein geeignetes Zimmer im Obergeschoss einer Herberge und bereiteten alles vor. Abends kam Jesus mit den übrigen Jüngern nach.
Die Männer liegen auf Polstern an einem niedrigen Tisch, auf dem der Wein und die Speisen aufgetragen sind, die alle eine symbolische Bedeutung haben und an die Befreiung Israels aus ägyptischer Gefangenschaftund an Gottes Bund mit seinem Volk erinnern. Das nun beginnende Essen folgt einem festgelegten Ritus. Jedes Mal, wenn vom Wein getrunken wird, spricht Jesus in seiner aramäischen Muttersprache die vorgeschriebenen Gebete. Doch er fügt den überlieferten Texten etwas Neues hinzu. Als er das ungesäuerte Brot, die Matze, austeilt, sagt er: »Nehmt und esst; das ist mein Leib.« Und als er den Kelch mit dem Wein herumreicht, sagt er: »Trinkt alle daraus; das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden.« (Mt 26, 26-29)
Jesus erinnert an den alten Bund, den Gott nach dem Auszug aus Ãgypten mit seinem Volk geschlossen hat, und gleichzeitig will er einen neuen Bund schlieÃen, mit seinen Jüngern und mit allen Menschen. Was ist das aber für ein neuer Bund?
Der alte Bund wurde geschlossen, als Mose auf dem Berg Sinai von Gott die Zehn Gebote erhielt und mit den auf Steintafeln geschriebenen Gesetzen zu seinem Volk zurückkehrte. Der neue Bund gründet sich nicht mehr auf Gebote und Gesetze, die von auÃen her im Namen Gottes den Menschen vorschreiben, was gut und böse ist. Dieser neue Bund besteht darin, dass Gott den Menschen ganz innerlich wird. Sein Geist ist ihnen wie »ins Herz geschrieben« (Röm 2, 15). Er wird zu der befreienden und tragenden Kraft, wie sie Jesus bei der Taufe am Jordan erfahren hat. Dieser Vorgang ist freilich ein geistiger undlässt sich mit Worten kaum beschreiben. Schon eher lässt er sich ganz sinnlich nachvollziehen in der Art, wie Jesus beim letzten Abendmahl handelt: So wie wir Brot essen und in uns aufnehmen und wie wir Wein trinken und ihn uns einverleiben, so wird auch Gott ein »Gott in uns«. Und mit diesem innerlichen Gott verwandelt sich unsere ganze Existenz.
Diese Verwandlung zeigt sich auch daran, wie Gott im alten und neuen Bund handelt. Im Alten Testament tritt Gott manchmal auch zornig, ja rachsüchtig auf. Als ihm das sündhafte Treiben der Menschen zu viel wird, lässt er die Menschen in der Sintflut untergehen. Und die Bewohner der Städte Sodom und Gomorra vernichtet er im Schwefel- und Feuerregen. Im neuen Bund rächt sich Gott nicht an den Menschen, obwohl sie seine Botschaft nicht annehmen und sogar seinen Sohn umbringen wollen. Gott lässt das alles geschehen. Er durchbricht damit die ewige Spirale der Gewalt, die Abfolge von Tat und Rache, von Gewalt und Gegengewalt, die wie ein Naturgesetz die menschliche Geschichte durchzieht und scheinbar bis in alle Ewigkeit nicht gestoppt werden kann. Damit siegt die Liebe über Hass und Zorn, und das Leben über den Tod.
Ãber dem letzten Abendmahl hing der Schatten von Jesus' Todesahnung. Aber indem er sich in Form von Brot und Wein an seine Jünger weitergab, machte er deutlich, dass der Tod nicht das letzte Wort haben wird. Jesus würdeweiterleben â in seinen Jüngern. Schon in den ersten christlichen Gemeinden begingen die Menschen ein gemeinsames Essen, um ihre Gemeinschaft zu stärken, zur Erinnerung an das letzte Abendmahl und um Jesus wieder gegenwärtig werden zu lassen. Und so ist es bis heute.
In der Wiederholung des letzten Abendmahles wird auch die Frage gestellt, wie Gottes Liebe vereinbar ist mit Jesusâ Leiden, und nach dem Sinn von Leid überhaupt. Aber diese Frage wird nicht mit Worten und Begriffen beantwortet, weil alle Worte und alle rationalen Erklärungen hier zu kurz greifen. Stattdessen wird eine Antwort gegeben durch zeichenhafte Handlungen wie dem Trinken von Wein und dem Essen einer Hostie. In solchen äuÃeren Verrichtungen kann ein anderes Verstehen geschehen, ein Verstehen, das einen Menschen tiefer erfasst und auch bis in seine unbewussten Bereiche hinabreicht. 91
In solchen religiösen Handlungen können sich
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