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Jesus von Nazaret

Jesus von Nazaret

Titel: Jesus von Nazaret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alois Prinz
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hineingezogen in eine depressive Weltsicht, die sich nichts mehrerhofft und sich abfindet mit Ungerechtigkeit, mit Zynismus und Hoffnungslosigkeit. Martin Luther nannte diese fatalen inneren Stimmen die »feurigen Pfeile des Teufels« 93 , und er glaubte, dass gerade einsame Menschen von diesen finsteren Gedanken leichter angesteckt werden. Darum warnte er davor, allein zu sein, denn ein einsamer Mensch, so schrieb er, »folgert immer eins aus dem anderen und denkt alles zum Ärgsten« 94 .
    Jesus wollte »wach« bleiben und er wollte nicht einsam sein. Die Nähe zu seinem Vater bewahrte ihn vor Einsamkeit und jeder Resignation. Seine Jünger dagegen waren ihm keine Stütze. Selbst jene unter ihnen, die ihm besonders nahe waren, Petrus, Jakobus und Johannes, schliefen immer wieder ein, und dass diese Schläfrigkeit zusammenhängt mit ihrer Standfestigkeit, das sollte sich bald zeigen.
    Stimmen kamen näher und im nächtlichen Olivengarten tauchten zwischen den Bäumen die Lichter von Fackeln auf. Ein ganzer Trupp von Männern stand schließlich vor Jesus. Es waren Soldaten der Tempelwache mit ihren Hauptleuten, alle bewaffnet mit Schwertern und Stöcken, die im Auftrag des Hohen Rates Jesus verhaften sollten. Auch einige Ratsmitglieder hatten sich angeschlossen. Aus dem Haufen trat Judas hervor. Er ging auf Jesus zu, grüßte ihn mit »Rabbi« und küsste ihn. Das war das verabredete Zeichen, an dem Jesus erkannt werden sollte.
    Gleich stürzten sich einige der Männer auf Jesus und nahmen ihn fest. Nun waren auch die Jünger wieder hellwach, allerdings nicht so, wie es sich Jesus gewünscht hatte. Einer von ihnen zog sein Kurzschwert und schlug damit dem Knecht des Hohepriesters ein Ohr ab. Sollte es wirklich, wie der Evangelist Johannes es behauptet, Petrus gewesen sein, der so hitzköpfig handelte, dann war das erneut ein Beweis dafür, wie wenig er Jesus verstanden hatte. (Joh 18, 10) Hatte er vergessen, was Jesus über die Friedfertigen und über die Feindesliebe gesagt hatte? War ihm entgangen, wie strikt Jesus jede Form von Gewalt ablehnte? Und auch jetzt fährt er Petrus scharf an, damit aufzuhören, und erinnert ihn noch einmal daran, wohin Gewalt führt, nämlich zu neuer Gewalt: »Denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen.« (Mt 26, 52) Das ist eine endgültige Absage an jede Gewalt. Und die gilt natürlich auch für jene, die für sich beanspruchen, mit dem Schwert das Gute verteidigen zu wollen.
    Als den Jüngern klar wurde, wie ernst die Lage war und dass es jetzt um Leben und Tod ging, verließ sie schnell der Mut. Sie suchten das Weite und Jesus wurde abgeführt. Nur Petrus schlich der Gruppe mit dem Gefangenen hinterher, um zu sehen, was weiter mit seinem Herrn passierte. Jesus wurde in das Haus des Hohepriesters Kaiphas gebracht, ein Palast mit unterirdischen Kammern und Zellen, der vermutlich am Südhang derStadt lag. Joseph Kaiphas hatte in die Hohepriesterfamilie des Hannas eingeheiratet und somit den Grundstein gelegt für seine Karriere. Seit dem Jahr 18 n. Chr. hatte er das Amt des Hohepriesters inne, länger als alle seine Vorgänger, und das spricht dafür, dass er sehr gut mit der römischen Besatzungsmacht zusammenarbeitete und sich speziell mit Pontius Pilatus gut verstand.
    Kaiphas soll einmal gesagt haben, dass es besser sei, wenn ein einzelner Mensch sterbe, als wenn ein ganzes Volk zugrunde gehe. (Joh 18, 14) Diesen Satz kann man als oberste Leitlinie seiner Amtsführung verstehen. Er lebte in der dauernden Sorge, dass die nationalistischen Kreise unter den Juden den Zorn der Römer einmal so weit reizen, dass es zur Katastrophe kommt und das Volk vernichtet wird. Um den Frieden, die Unabhängigkeit des Tempelkultes und nicht zuletzt die Macht seiner Familie zu bewahren, musste er also einerseits den Interessen der Römer entgegenkommen und andererseits die Forderungen seiner Landsleute berücksichtigen. Das war ein diplomatischer Hochseilakt, der bewirkte, dass Kaiphas ein »virtuoser Taktiker und Praktiker« 95 wurde. Den labilen Frieden aufrechtzuerhalten, war sein oberstes Ziel. Und um das Überleben eines ganzen Volkes zu sichern – was wog dagegen schon das Leben eines Einzelnen?
    Als Kaiphas im Beisein anderer Mitglieder des Hohen Rates das Verhör mit Jesus durchführte, standen sich zwei völlig verschiedene

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