Jesus von Nazaret
Welten gegenüber. Denn fürJesus war jeder einzelne Mensch ein Tempel Gottes. Und niemals hätte er einer Logik zugestimmt, die verlangt, dass ein Mensch geopfert werden muss um eines höheren Ziels willen. Das göttliche Gebot, nicht zu töten, war für Jesus kein Grundsatz, mit dem man taktieren kann. Dieses Gebot gilt absolut. Und wenn jemand einen Menschen tötet, um andere zu retten, dann verstöÃt er damit gegen jene Humanität, die er eigentlich vertreten will. Insofern ist es das oberste Prinzip jeder wirklichen Moral, dass man Menschen nie als Mittel zum Zweck benutzen darf.
Zwischen dem religiösen Machtpolitiker Kaiphas und dem »Menschensohn« Jesus konnte es nicht zu einer fairen Verhandlung kommen. In den Berichten der Evangelisten wird das Verhör geschildert als eine Farce, ein Schauspiel, um die äuÃere Form zu wahren. Es werden zwar Zeugen angehört, aber die sind offenbar bestochen, und ihre Aussagen sind so widersprüchlich, dass sich darauf keine Anklage bauen lässt. Für Kaiphas steht das Urteil sowieso schon fest, darum will er keine Zeit mehr verlieren und stellt an Jesus die entscheidende Frage, ob er der Messias sei. »Du hast es gesagt«, antwortet Jesus (Mt 26, 64), und das ist eine sehr zweideutige Aussage, denn sie kann ebenso gut bedeuten, dass dies die Meinung des Kaiphas ist. Und in der Tat hat sich Jesus nie als Messias bezeichnet.
Kaiphas hält sich nicht lange damit auf, über JesusâAntwort nachzudenken, er will es auch gar nicht. Mit einer theatralischen Geste zerreiÃt er seine Kleider und behauptet, dass Jesus mit dieser Aussage der Gotteslästerung überführt sei. Alle stimmen ihm zu und fordern die Todesstrafe. Damit fällt die äuÃere Fassade, und einige der Anwesenden und ihre Handlanger lassen ihrer angestauten Wut auf Jesus freien Lauf. Sie schlagen ihn auf den Kopf und fragen ihn dann, wer ihm die Schläge versetzt hat. Was aus ihnen herausbricht, ist der Ãrger darüber, dass diese jämmerliche Gestalt sich anmaÃt, der Messias, der Retter Israels zu sein. Statt eines mächtigen Heilsbringers, den sie erwarten, steht da vor ihnen ein abgerissener Zimmermann aus Galiläa, der einen bäuerischen Dialekt spricht, der auf alle Anklagen schweigt, der sich nicht wehren kann. Ein armseliger Niemand! Ein Landstreicher von empörender Lächerlichkeit! Eine Witzfigur!
Während Jesus in den unterirdischen Verliesen von Kaiphasâ Palast weiter verspottet und geschlagen wird, kommt es im Innenhof zu einem Zwischenfall. Petrus ist Jesus in sicherem Abstand bis hierher gefolgt und setzt sich nun an das Feuer, das Soldaten und Bedienstete gegen die kalte Frühjahrsnacht entzündet haben. Als der Schein der Flammen auf sein Gesicht fällt, erkennt ihn eine Magd und wirft ihm vor, auch zu den Leuten um den »Nazarener Jesus« zu gehören. Petrus streitet das ab und zieht sich in die dunkleren Vorhallen zurück. Dorttrifft er auf einen Knecht, der auch bei der Verhaftung im Garten Getsemani dabei war und glaubt, Petrus wiederzuerkennen. Petrus bestreitet vehement, je in diesem Garten gewesen zu sein. Nun sind aber die Umstehenden auf ihn aufmerksam geworden, weil sie seinen galiläischen Dialekt bemerkt haben, und sie behaupten, dass er sich nun als ein Anhänger dieses Jesus verraten habe. So in die Enge getrieben, fängt Petrus an zu fluchen, und er schwört sogar: »Ich kenne diesen Menschen nicht, von dem ihr redet.« (Mk 14, 71)
Im Evangelium des Lukas heiÃt es an dieser Stelle, dass Jesus sich umwandte und Petrus anblickte. (Lk 22, 61) Das ist natürlich eine Unmöglichkeit, weil Jesus sich im Haus des Kaiphas befand und Petrus auÃerhalb, im Innenhof. Aber um die räumliche Logik geht es hier nicht. Man könnte auch sagen, dass Petrus den Blick Jesu auf sich spürt. In diesem Moment erinnert er sich daran, was ihm Jesus vorausgesagt hat. Ihm wird bewusst, dass er Jesus dreimal verleugnet und jedes Mal der Hahn gekräht hat. »Und er ging hinaus und weinte bitterlich«, so schlieÃt in der Bibel diese Szene. (Lk 22, 62)
Wie konnte Jesus voraussehen, wie sich Petrus verhalten wird? War Jesus ein Hellseher? Nein, er kannte Petrus nur sehr gut, und er wusste, dass dieser Jünger dazu neigt, sich selber zu überschätzen. Unter den Jüngern war Petrus immer derjenige, der das Wort führte und die anderen in seiner
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