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Jesus von Nazareth - Band II

Jesus von Nazareth - Band II

Titel: Jesus von Nazareth - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt XVI
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einfach einen Haufen Leute, „die Menge“. Das Wort hat nicht selten einen negativen Beiklang in Richtung „Pöbel“. Jedenfalls ist damit nicht „das Volk“ der Juden als solches bezeichnet. Bei der Pascha-Amnestie (die wir freilich aus anderen Quellen nicht kennen, an der aber nicht zu zweifeln ist) hat das Volk – wie bei solchen Amnestien üblich – ein Vorschlagsrecht, das in der „Akklamation“ zum Ausdruck kommt: Der Zuruf des Volkes hat in diesem Fall rechtlichen Charakter (vgl. Pesch,
Markusevangelium
II, S.   466). Faktisch handelt es sich bei diesem „Haufen“ um die für die Amnestie mobilisierte Anhängerschaft des Barabbas, der als Aufrührer gegen die römische Macht natürlich auf eine Anzahl von Freunden rechnen durfte. Anwesend waren also die Parteigänger des Barabbas, der „Haufe“, während die Anhänger Jesu aus Furcht verborgen blieben, wodurch die Volksstimme, auf die das römischeRecht baute, einseitig repräsentiert war. So tritt zwar bei Markus neben „die Juden“, das heißt die maßgebenden Priesterkreise, der Ochlos, der Anhängerkreis des Barabbas, aber nicht das jüdische Volk als solches.
     
    Eine in ihren Folgen verhängnisvolle Ausweitung des markinischen Ochlos findet sich bei Matthäus (27,25), der nun stattdessen vom „ganzen Volk“ spricht und ihm den Ruf nach der Kreuzigung Jesu zuschreibt. Matthäus drückt damit sicher nicht einen historischen Befund aus: Wie hätte das ganze Volk in diesem Augenblick anwesend sein und nach Jesu Tod rufen können? Die historische Realität erscheint offenkundig richtig bei Johannes und bei Markus. Die eigentliche Klägergruppe sind die bestehenden Tempelkreise, und im Rahmen der Pascha-Amnestie gesellt sich ihnen der „Haufe“ der Parteigänger des Barabbas bei.
    Man wird wohl Joachim Gnilka darin recht geben dürfen, dass Matthäus – das Historische übersteigend – eine theologische Ätiologie formulieren wollte, mit der er sich das furchtbare Geschick Israels im Jüdisch-Römischen Krieg erklärt, in dem Land, Stadt und Tempel dem Volk genommen wurden (vgl.
Matthäusevangelium
II, S.   459). Matthäus denkt dabei wohl an Jesu Worte, in denen dieser das Ende des Tempels vorhersagt: „Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst die Boten, die zu dir gesandt sind. Wie oft wollte ich deine Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt; aber ihr habt nicht gewollt. Darum wird euer Haus verlassen   …“ (Mt 23,37f; vgl. bei Gnilka den ganzen Abschnitt „Gerichtsworte“, S.   295   –   308).
    Bei diesen Worten ist – wie schon beim Bedenken dereschatologischen Rede Jesu gezeigt – an die innere Entsprechung zwischen der Botschaft des Propheten Jeremia und der Botschaft Jesu zu erinnern. Jeremia kündigt – gegen die Verblendung der damaligen herrschenden Kreise – die Zerstörung des Tempels und die Verbannung Israels an. Aber er spricht auch von einem „Neuen Bund“: Züchtigung ist nicht das letzte Wort, sie dient der Heilung. Ebenso kündigt Jesus das „verlassene Haus“ an und schenkt schon jetzt den Neuen Bund „in seinem Blut“: Letztlich geht es um Heilung, nicht um Zerstörung und Verstoßung.
    Wenn nach Matthäus das „ganze Volk“ gesagt habe: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ (27,25), dann wird der Christ sich daran erinnern, dass Jesu Blut eine andere Sprache spricht als das Blut Abels (Hebr 12,24): Es ruft nicht nach Rache und nach Strafe, sondern es ist Versöhnung. Es wird nicht
gegen
jemand vergossen, sondern es ist Blut, vergossen
für
viele, für alle. „Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren   … Ihn (Jesus) hat
Gott
dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut“, sagt Paulus (Röm 3,23.25). Wie man den Spruch des Kajaphas über den notwendigen Tod Jesu vom Glauben her ganz neu lesen muss, so auch das Matthäus-Wort vom Blut: Vom Glauben her gelesen heißt es, dass wir alle die reinigende Kraft der Liebe brauchen, die sein Blut ist. Es ist nicht Fluch, sondern Erlösung, Heil. Nur von der Abendmahls- und Kreuzestheologie des ganzen Neuen Testaments her erhält das matthäische Blutwort seinen richtigen Sinn.
     
    Kommen wir von den Anklägern zum Richter: dem römischen Statthalter Pontius Pilatus. Während FlaviusJosephus und besonders Philon von Alexandrien ein ganz negatives Bild von ihm zeichnen, erscheint er in anderen Zeugnissen als entscheidungsfreudig, pragmatisch und

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