Jesus von Nazareth - Band II
Geschick hing, ganz einfach und klar geantwortet: „Ich bin es“ (klingt darin nicht vielleicht Ex 3,14 durch: „Ich bin der Ich-bin“?). Aber Jesus definiert dann doch mit einem Wort aus Ps 110,1 und Dan 7,13 näher, wie Messianität und Sohnschaft zu verstehen sind. Matthäus fasst die Antwort Jesu zurückhaltender: „Du hast es gesagt. Doch ich sage euch …“ (26,64). Jesus gibt zwar so Kajaphas nicht unrecht, stellt seiner Formulierung aber doch die Weise entgegen, in der er selbst seinen Auftrag verstanden wissen will – mit Worten der Schrift. Lukas schließlich trennt zwei verschiedene Fragen voneinander (vgl. 22,67 – 70). Auf die Aufforderung des Hohen Rates: „Wenn du der Messias bist, dann sag es uns!“ antwortet der Herr mit einem Rätselspruch, also nicht offen zustimmend und auch nicht klar ablehnend. Darauf folgt sein eigenes, aus Ps 110 und Dan 7 gewobenes Bekenntnis, und dann – nach der nachhakenden Frage des Hohen Rates: „Du bist also der Sohn Gottes?“ – antwortet er: „Ihr sagt es, ich bin es.“
Aus alledem geht hervor: Jesus hat den von der Tradition her vieldeutigen Messias-Titel angenommen, aber ihn zugleich in einer Weise präzisiert, die einen Schuldspruch herbeiführen musste, den er mit einer Abweisung oder mit einer gemilderten Fassung des Messianismus hätte vermeiden können. Er gibt Vorstellungen keinen Raum, die auf ein politisches oder kriegerisches Verständnis der Wirksamkeit des Messias hinauslaufen könnten. Nein, der Messias – er selbst – wird als Menschensohn mit den Wolken des Himmels kommen. Sachlich ist das ziemlich genau dasselbe, was uns bei Johannes in dem Wort begegnet: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (18,36). Erbeansprucht, zur Rechten der Macht zu sitzen, das heißt in der Weise des danielischen Menschensohns zu kommen, von Gott her, um von ihm her das endgültige Reich zu errichten.
Dies musste den Mitgliedern des Hohen Rates als politisch unsinnig und als theologisch unannehmbar erscheinen, denn damit war nun in der Tat eine Nähe zur „Macht“, eine Teilhabe an Gottes eigenem Wesen angesagt, die als lästerlich verstanden wurde. Allerdings, Jesus hatte nur Schriftworte miteinander verknüpft und seine Sendung „schriftgemäß“, in Worten der Schrift selbst, ausgedrückt. Aber den Mitgliedern des Synedriums erschien die Anwendung der hohen Worte der Schrift auf Jesus offenbar als unerträglicher Angriff auf die Höhe Gottes, auf seine Einzigkeit.
Für den Hohepriester und die Versammelten war jedenfalls mit Jesu Antwort der Tatbestand der Gotteslästerung erfüllt, und Kajaphas „zerriss sein Gewand und rief: Er hat Gott gelästert!“ (Mt 26,65). „Das Einreißen des Gewandes, das der Hohepriester vornimmt, geschieht nicht aus Erregung, sondern ist für den amtierenden Richter beim Anhören einer Gotteslästerung als Zeichen der Empörung vorgeschrieben“ (Gnilka,
Matthäusevangelium
II, S. 429). Nun bricht über Jesus, der sein Kommen in Herrlichkeit vorhergesagt hatte, der brutale Spott jener herein, die sich als die Stärkeren wissen und ihn ihre Macht, ihre ganze Verachtung spüren lassen. Der, vor dem sie die Tage zuvor noch Angst gehabt hatten, ist nun in ihrer Hand. Der feige Konformismus schwacher Seelen fühlt sich stark im Losgehen auf den, der nur noch Ohnmacht zu sein scheint.
Sie merken nicht, dass sie gerade in der Verhöhnung und im Zuschlagen das Geschick des Gottesknechtes an Jesus wörtlich erfüllen (vgl. Gnilka, S. 430): Erniedrigung und Erhöhung greifen geheimnisvoll ineinander. Gerade als der Geschlagene ist er der Menschensohn, kommt er in der Wolke der Verhüllung von Gott und richtet das Reich des Menschensohns, das Reich der von Gott kommenden Menschlichkeit auf. „Von jetzt an werdet ihr sehen …“, hatte Jesus nach Matthäus (26,64) in einer erregenden Paradoxie gesagt. Von jetzt an – es beginnt ein Neues. Die Geschichte hindurch sehen Menschen auf das geschändete Antlitz Jesu hin und erkennen gerade darin die Herrlichkeit Gottes.
Zur selben Zeit versichert Petrus zum dritten Mal, dass er nichts mit Jesus zu tun habe. „Gleich darauf krähte der Hahn zum zweiten Mal, und Petrus erinnerte sich …“ (Mk 14,72). Der Hahnenschrei wurde als Zeichen für das Ende der Nacht angesehen: Er eröffnete den Tag. Auch für Petrus endet mit dem Krähen des Hahns die Nacht der Seele, in die er versunken war. Das Wort Jesu von seiner Verleugnung noch vor dem
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