Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
Taufkandidaten darauf eingeschworen wurden, was der Meister unter »Umkehr« verstand: Rückkehr in den reinen Zustand ungetrübter Gesetzestreue, um den »nahe herbeigekommenen« »Starken« würdig empfangen zu können und seinem Gericht nicht zu verfallen. Das Eintauchen in den Jordan besiegelte die Umkehr. Es machte den Kandidaten zum »geliebten Sohn« des Täufers und nahm ihn in seinen Jüngerkreis auf. Markus (oder sein Gewährsmann) hat diese Taufformel in den Himmel gehoben und in einer traumartigen Vision unkenntlich gemacht. Doch die herabschwebende Taube lässt sich leicht als die Hand des Täufers entschlüsseln, die den Täufling ins Wasser hinabdrückt und ihm den »Geist« der Umkehr mit sprichwörtlicher Handgreiflichkeit mitteilt.
Jesus hat sich nicht eben mal auf der Durchreise taufen lassen, wie die »Synoptiker« (Markus, Matthäus und Lukas) suggerieren. Das Johannesevangelium verschweigt die Taufe gleich ganz, so peinlich war ihm, dass Jesus ein regelrechter Johannesjünger war. Mehr noch: Vieles spricht dafür, dass die geheimnisvolle Figur des »Lieblingsjüngers Jesu«, der ihm besonders nahegestanden und seine Worte und Taten später als Evangelist Johannes getreulich aufgezeichnet haben soll, eine Deckerinnerung ist, die ummäntelt, dass es zuvor tatsächlich einen »Lieblingsjünger des Johannes« gegeben hatte, nämlich Jesus, den Liebling des Täufers. Was aber brachte die beiden auseinander? Das lässt sich nur aus Indizien rekonstruieren. »Nachdem Johannes festgenommen war«, sagt Markus (1,14 f.), »kam Jesus nach Galiläa und verkündigte …: Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes nahe herbeigekommen.« Das ist historisch glaubwürdig. Folgendes hingegen nicht: »Als aber Johannes im Gefängnis die Werke Christi hörte, sandte er durch seine Jünger und ließ ihm sagen: ›Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir einen anderen erwarten?‹ Jesus antwortete und sprach zu ihnen: ›Gehet hin und verkündet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören und Tote werden auferweckt und den Armen wird das Evangelium gepredigt, und selig ist, wer nicht Anstoß nimmt an mir‹« (Mt 11,2–6).
Dass Johannes im Gefängnis wissen wollte, ob sein ehemaliger Jünger der sei, »der da kommen soll«, ist eine christliche Konstruktion, die den wirklichen Sachverhalt umkehrt: Jesus war es, der die Stimme des Täufers innerlich nicht loswurde und sein Eigenes nur in Abgrenzung gegen ihn zu definieren vermochte; dafür sind die ersten drei Glieder seiner Antwort höchst aufschlussreich. »Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein.« Sehstörungen, Lähmungen, Hautausschläge sind gelegentlich psychogen genug, um »weggesprochen« werden zu können.
Offenbar besaß Jesus eine suggestive Kraft, die in manchen solcher Fälle heilend wirkte. Er war nicht Arzt im hippokratischen Sinn. Chirurgisches Schneiden und Brennen oder die Vergabe bitterer Medizin kommen bei ihm praktisch nicht vor. Seine Heilungen waren wortzentriert. Deshalb gehört zu seinem Ressort auch, was das Neue Testament Besessenheit durch »unsaubere Geister« nennt: neurotische, psychotische, epileptoide Zustände aller Art. Die vermochte er gelegentlich »auszutreiben«. Das hob ihn signifikant über Johannes hinaus. Der konnte nur taufen, nicht heilen. Und das muss ihn gewurmt haben. Das jedenfalls legen die Abschlussworte der Antwort Jesu an ihn nahe. »Und selig ist, wer keinen Anstoß an mir nimmt.« Offenbar waren Johannes die Heilkräfte Jesu nicht geheuer gewesen. Der »geliebte Sohn« hatte Fähigkeiten entwickelt, über die der Meister nicht verfügte. Schienen sie dem Kommen des Reiches Gottes förderlicher als die Taufe? Fanden sie im Täuferkreis Zuspruch? Begannen sie gar den Sinn der Taufe in Frage zu stellen – und damit die Autorität und Identität des Täufers?
Schauen wir uns im Licht dieses Verdachts noch einmal die Taufe Jesu an. Wenn es stimmt, dass »der Geist«, der in Gestalt einer Taube auf Jesus herabgeschwebt sein soll, eine Chiffre für die taufende Hand des Johannes ist, dann spricht vieles dafür, dass der »Geist«, der Jesus danach »sogleich in die Wüste treibt« (Mk 1,12), für die vertreibende Hand des Täufers steht, dass Jesus also aus dem Täuferkreis in die Wüste verstoßen wurde. Dass er »vierzig Tage« dort war, ist eine historisch unglaubwürdige Stilisierung; sie lehnt sich an die vierzig Jahre Israels in
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