Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
des Lichts« riefen die Gläubigen, heißt es in der sogenannten Kriegsrolle, zum unerbittlichen Kampf gegen »die Söhne der Finsternis« auf. In ihrer Gemeinderegelrolle gibt es einen harten Strafkatalog für Verfehlungen der Mitbrüder. Blinde, Hinkende, Taube durften von vornherein nicht aufgenommen werden.
Drei Forschergenerationen haben den intellektuellen Kampf um Qumran inzwischen ausgetragen, ein Ende ist nicht in Sicht. So hat sich die israelische Professorin Rachel Elior auf die Sadduzäer als Verfasser der Texte eingeschworen. Sie meint sogar: »Die Essener hat es niemals gegeben.« Auch der Amerikaner Norman Golb ist seit langem sicher, dass die Rollen aus Jerusalemer Bibliotheken stammten und am Toten Meer vor den Römern in Sicherheit gebracht wurden. Die Truppen der Besatzungsmacht näherten sich 68 nach Christus dem Toten Meer. Deshalb geht auch die Essener-These davon aus, dass die kostbaren Schriften in einer Blitzaktion vor dem Feind verborgen wurden. Zuvor hat man sie in Leinen verpackt und in zylindrische Tongefäße versenkt – so wie die durch Zufall in der Höhle eins von den Hirten entdeckte Jesajarolle.
Andere Wissenschaftler sehen einfach nur eine unbekannte jüdische Gruppe am Werk. Die Ruinenstätte selbst wurde schon als Festung, als Keramikwerkstatt oder Landgut gedeutet. Zurück zur Essener-Autorenschaft kommt indessen Daniel Stökl Ben Ezra. Der 41-jährige Judaist von der Pariser Ecole Pratique des Hautes Etudes, der als Star unter den jüngeren Qumran-Forschern gilt, sieht die alte These jedoch »wesentlich nuancierter« – es habe sicher mehrere und unterschiedliche Essener-Gruppierungen gegeben. Eines der wichtigsten Rätsel, die es zu lösen gelte, seien in diesem Zusammenhang die Friedhöfe unweit der Ruinenstätte. Obwohl, nach antiken Quellen, die Essener im Zölibat lebten, finden sich auf einem Friedhof auch Frauen und Kinder. Möglicherweise sind sie nicht Juden, sondern Beduinen. Geforscht werden konnte bisher nur an einer kleinen Anzahl von Skeletten, bedauert Stökl: Für orthodoxe Juden ist die Öffnung von Gräbern eine der größten Schandtaten.
So »ungeheuer spannend« und »für die Wissenschaft voller Sternstunden« wie Hunzingers Begegnung mit dem Pergament aus der Fledermaushöhle ist die gesamte Entdeckungs- und Forschungsgeschichte der Rollen: Aus den Händen geschäftstüchtiger Beduinen, von Antiquitätenhändlern und eines kundigen Metropoliten gelangten sie in die Obhut von Wissenschaftlern. Acht Rollen, die ersten sieben Rollen aus der Höhle eins und die Tempelrolle, fanden 1965 im eigens dafür gebauten »Schrein des Buches« des Jerusalemer Israel Museums ihren festen Platz. Als Kriegsbeute fielen den Israelis im Sechs-Tage-Krieg von 1967 obendrein alle Qumran-Funde zu, die im Palestine Archeological Museum, dem späteren Rockefeller Museum, gelagert hatten. Und in den Kriegswirren beschlagnahmten israelische Geheimdienstler im Haus eines Mittelsmanns der Beduinen die 8,5 Meter lange, schwer beschädigte Tempelrolle, die detaillierte Anweisungen zum Bau des idealen Tempels in Jerusalem gibt.
Die ersten transkribierten Texte veröffentlichten wissenschaftliche Verlage schon wenige Jahre nach der Entdeckung. Nur die Sammler von Fragmenten der Qumran-Schätze hielten ihre Beute unter Verschluss und unpubliziert. Blühten deshalb seit den achtziger Jahren die Verschwörungstheorien? Die Geheimnisse um Qumran sind der Stoff, aus dem Bestseller gemacht werden: Autoren wie die Amerikaner Dan Brown (»Sakrileg«) sowie Michael Baigent und Richard Leigh (»Verschlusssache Jesus«) behaupten, der Vatikan verhindere Veröffentlichungen, weil neue Aussagen über Jesus das kirchliche Bild erschüttern würden. Mit Peinlichkeiten wartete dabei vor allem Brown auf, der mehrfach den Text der Jesajarolle mit ihren messianischen Prophezeiungen auf dem Kopf stehend und spiegelverkehrt abbildete – in die Irre geführt durch »eine Bosheit der hebräischen Schrift«, wie Emeritus Hunzinger spottet. Denn die wird von rechts nach links geschrieben und »hängt unter der Linie wie ein Wäschestück«.
Der Vatikan konnte indes an der Unterdrückung der Texte gar kein Interesse haben: Über Jesus und frühe Gestalten des Christentums ist aus den Funden nichts zu erfahren. Beziehungen Jesu oder seiner Anhänger zur Qumran-Gemeinde habe es nicht gegeben, sagt der Heidelberger Neutestamentler Gerd Theißen. Die Bewohner von Qumran zeigten zwar in manchen Riten
Weitere Kostenlose Bücher