Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
der Wüste an. Interessanter ist die Fortsetzung. Er wurde »versucht durch den Satan, und er war bei den Tieren, und die Engel dienten ihm« (Mk 1,13). Satan: Das ist gewiss nicht der gelehrte Gesprächspartner, der Jesus in einem rabbinischen Disput verlockende Angebote macht, wie es Matthäus später dargestellt hat (Mt 4,1 ff.). Satan ist das schlechterdings Böse, die Gewalt des Fluchs. Sie hat Jesus zu »den Tieren« getrieben, will sagen, ihn auf Leben und Tod in den Status tierischen Vegetierens zurückversetzt; ohne höhere Hilfe (»Engel«) hätte er das eigentlich gar nicht überleben können.
»Und sogleich treibt ihn der Geist in die Wüste« (Mk 1,12) – das ist offenbar wörtlich zu nehmen. Johannes trieb Jesus in die Wüste. Damit wird übrigens schlagartig klar, warum Jesus den langen Schatten des Täufers zeitlebens nicht loswurde. Er fühlte den Fluch der Verstoßung zu Unrecht auf sich lasten.
Aber der Fluch war da. Jesus teilte selbstverständlich die allgemein verbreitete magische Auffassung, dass ein Fluch mehr sei als nur ein Wort: eine Unheilsmacht, die durch Aussprechen in die Welt gesetzt wird und sich als ein furchtbares Gewicht auf den legt, dem sie gilt, egal, ob zu Recht oder zu Unrecht. Das war die »Versuchung« Satans: das Fertig-werden-Müssen mit diesem Fluch. Jesus musste Johannes, sich und aller Welt beweisen, dass er unschuldig im Sinne der Anklage war. Argumente reichten dafür nicht aus. Es galt, einen Fluch abzutragen. Der Unschuldsbeweis musste die Form einer demonstrativen Entsühnung annehmen. Und diese Entsühnung: das war von nun an – sein Leben.
Nur so wird das öffentliche Auftreten Jesu, sein Getriebensein von Ort zu Ort durch Galiläa, schließlich bis nach Jerusalem in den Tempel, begreiflich. An wen er sich sonst auch wendet, immer richtet er sich zugleich an Johannes und sucht ihm, seinem postumen, unbewältigten Gesprächspartner, nachträglich zu beweisen: Du hast mich zu Unrecht mit einem Fluch belegt. Ich bin nicht sündlos; deshalb habe ich mich ja bereitwillig der Taufe unterzogen. Aber meine Heilkräfte sind rein. Dafür rufe ich den Gott zum Zeugen an, in dessen Namen du mich verstoßen hast.
Der Fluch des Johannes stand dahinter, als Jesus begann, das »nahe herbeigekommene« Reich Gottes radikal umzucodieren. Es sollte nicht reinigend und richtend kommen, sondern heilend: als die höhere Macht, die nicht nach Verdienst, nicht nach Berechtigung, nicht nach Äquivalenz fragt, sondern allein nach Bedürftigkeit. Nur diese Macht sah er in der Lage, seiner Heilkraft beizustehen und sie als unschuldig zu beglaubigen. Deshalb war ihm so wichtig, dass sie jetzt kommt. Seine Heilungen exerzieren sie vor, seine Gleichnisse erzählen sie herbei, seine Gebete und Seligpreisungen flehen sie hernieder. Und wenn sie dennoch nicht kommt, nun, dann muss er ihr entgegengehen, notfalls bis hinauf in den Jerusalemer Tempel, und diesen auf ihre Ankunft vorbereiten, indem er die Händler und Wechsler daraus vertreibt.
Wir wissen, wie dieser Versuch ausgegangen ist. Jesus hat seinen Jüngern das Nahen einer heilenden Universalmacht vorgeträumt, aber sich nicht träumen lassen, dass sie ihn nach seinem grauenhaften Tod als überirdischen Bringer dieser Macht verkündigen würden. Und alsbald in seinem Namen den Täufer rehabilitierten. Denn was tun sie mit denen, die sie zu Jesus bekehren? Etwas, was Johannes mit Jesus getan hat, aber Jesus nicht mit ihnen: taufen. Der Täufling ist unter dem Täufer. Er wird von ihm untergetaucht. Diese rituelle Hierarchie nimmt das Urchristentum wieder auf. Es verkleistert den Bruch zwischen Johannes und Jesus, macht den Täufer zu einem Herold Jesu und die Taufe zu einem christlichen Sakrament.
Riesenpuzzle aus der Wüste
Die Qumran-Rollen, die am Toten Meer zwei Jahrtausende überdauert haben, zählen zu den wertvollsten Dokumenten der biblischen Zeit. Waren ihre Verfasser wirklich die geheimnisvollen Essener?
Von Renate Nimtz-Köster
Höhle elf! Mit dem Jubelruf »Cave eleven!« stürmte Pater Roland de Vaux den Saal, in dem auf langen Tischreihen antike Schriftfunde auslagen. Hier, im Palestine Archaeological Museum in Ostjerusalem, war damals, 1956, ein internationales Wissenschaftler-Team mit einem Riesenpuzzle beschäftigt, das bereits als Weltsensation galt: Die Forscher versuchten Texte zu entziffern, die nach und nach in Höhlen nahe der Ruinenstätte Qumran am Toten Meer entdeckt worden waren. In ihrem originalen
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